Aufbruch einer Druse
Karl Christian Müller
alias Teut Ansolt alias Teut alias Dr. Karl Müller
Nomina vestigia
Warum noch über den bündischen Dichter Karl Christian Müller
(1900-1975) schreiben, dessen Bild von den einschlägigen Personaldossiers der
Webseiten knapp gerahmt und als nebenrangig und regional gleich wieder weg
klickbar wird? Gibt es doch in der Bündischen Jugend vor den Verbotsjahren ab1933
rund 1200 Gruppierungen, an deren Spitze ein mehr oder minder charismatischer Bundesführer
stand, der sich oft im Rückblick in einem Satz zusammen mit dem Namen der jeweiligen
Organisation charakterisieren lässt.
Das Bild des saarländischen Dichters und Jungenführers Müller
präsentiert sich hingegen mit facettenhafter Ambivalenz und man muss endlich
einmal exemplarisch fragen, wer wann und wie wer ist. Auch der etwas ältere
Kurt Tucholsky aus seiner Schriftstellergeneration schrieb unter mehreren
Pseudonymen (“5 PS“), Erich Kästner (*1899) im dritten Reich notgedrungen
ebenfalls unter „erlogenen“ (pseudo-), milder gesagt, unter falschen Namen. Als
Teut Ansolt tritt Karl Christian Müller 1929 mit seinem Lyrikband „Kranz des
Jünglings“ erstmalig hervor und behält dieses Pseudonym in den dreißiger Jahren
für seine lyrische und dramatische Produktion bei neben seinem eigentlichen
dreiteiligen Namen für narrative Prosaprodukte sowie Dr. Karl Müller nach
seiner eigenwilligen universellen Metrik „Die rhythmischen Masze“ (1931)
weiterhin für Essays besonders ab 1933 z.B. in „Die Westmark“, gern auch im gleichen
Heft janusköpfig gepaart mit eigener Lyrik als Teut Ansolt. In der
Jugendbewegung, d.h. in dem von ihm 1929 gegründeten Jungenbund Trucht, ist er
kurz und klein teut genannt und bleibt dies auch nach seiner Rückkehr aus der
ägyptischen Gefangenschaft nach 1948 in der wieder entstandenen bündischen
Szene ab Beginn der 50ger Jahre, ediert aber bis zu seinem Tode 1975 seine zahlreichen
Gedichtbände ausschließlich unter seinem vollständigen, dreiteiligen Namen.
Man hat den ersten, jedoch vordergründigen Eindruck, hier
würde in den dreißiger Jahren nominell je nach literarischem Register Adressaten
differenziert editorisch vorgegangen. Vergessen wir aber nicht, dass Pseudonyme
zunächst einer Verschleierung des Urhebers dienen, sei es aus Gründen der
Umgehung einer Zensur, also thematisch-politisch bedingt, oder weil man
Probleme mit seiner eigenen Identität oder schriftstellerischen
Selbstbeurteilung hat, um den naheliegenden etymologischen Hinweis auf eine wirkliche
Vorspiegelung bzw. Lüge nicht zu vertiefen. Nur Eingeweihte können das
Pseudonym einer einzigen bestimmten Person zuordnen – oder anders herum gesagt,
die mit einem Pseudonym versehenen Werke sollen einer bestimmten Person nicht
zugeschrieben werden, sondern vertreten autonom eine spezielle Rolle und sprechen
so getarnt nur zu denen, die sich ausschließlich am Pseudonym orientieren.
Müllers bündischer Gefährte und späterer Antipode, Eberhard Koebel (tusk),
verwendete schon vor dem Exil gern Pseudonyme, um seiner Meinung nach
unpopuläre Meinungen zu vertreten oder um zu verschleiern, dass die Artikel
seiner diversen Zeitschriften zuweilen von ihm allein verfasst wurden.[1]
Wie sah dies im Zusammenhang zu Beginn der dreißiger Jahre aus?
Die Schriften Karl Christian Müllers sind aufgelistet in einem
unter dem Namen seines Freundes Werner Helwig erschienen Aufsatz „Weg und Werk
Karl Christians Müllers“ in den Saarbrücker Heften 27, 1968, S. 21 f., den
Müller wegen Helwigs Zeitmangel selber akribisch abfasste und den Helwig nach
seiner Rückkehr von einer Südafrikareise lediglich stilistisch zu redigieren
versuchte.[2]
Müller schaute hier also auf seine eigenen Werke bis zu seiner kurzen Kölner
Dissertation 1923 über Jean Paul zurück, die allerdings nie veröffentlicht
wurde, und nutze im schützenden Schatten Helwigs die einmalige, heute wie
damals niemandem bekannte Gelegenheit, eigene, selektive Akzente in der
Präsentation seines literarischen Werdegangs zu setzen.
Im Leipziger bundeseigenen Truchtverlag erschien 1933 das
dritte der Jungenspiele von Teut Ansolt, 1968 von ihm zitiert als: „Der
Waffenstillstand, Jungenspiel“. Diesem vergriffenen und nur noch im Dudweiler Literaturarchiv
Saar-Lor-Lux-Elsass zugänglichen kleinen Blankversdrama begegnet man
unvermuteter Weise in der „Liste der auszusondernden Literatur“ der Deutschen
Verwaltung für Volksbildung in der sowjetischen Besatzungszone 1946 und auch im
zweiten Nachtrag 1948 wieder. Hier wurden u.a. alle Schulbücher von 1933-45 zur
Ausmerzung indiziert, alle militärischen Publikationen und „ähnliche ohne weiteres
als NS-Schrifttum zu erkennenden Druckschriften“.
Nun assoziiert man leicht den Titel „Waffenstillstand“ mit dem militärischen Ende des ersten Weltkrieges: ergo eliminandum sit! Oder trifft der Bann ein NS-Werk der ersten Stunde mit seinem wohl 1968 unzeitgemäßen und deswegen von Müller alias Helwig ausgeblendeten Originaltitel „Der Waffenstillstand, ein heldisches Spiel“? Ohne hier schon ausführlicher auf den Inhalt einzugehen, entnehmen wir eine erste Antwort auf das Warum der Indizierung der Schlussbemerkung auf S. 16: „ Das Spiel wurde nach einer Novelle von Grigol Robakidse, „ Imam Chamyl“ aus: Grigol Robakidse, Kaukasische Novellen, Inselverlag Leipzig [1932], verfasst. Die Lieder stammen aus der Trucht.“
Dieser georgische Schriftsteller (1884-1962) war 1931 nach Deutschland emigriert, wo er schon vor dem 1. Weltkrieg in Leipzig studiert hatte. Seine Novellen sowie besonders sein Roman „Die gemordete Seele“ (1933) beschwören die von Entzauberung und Entgötterung durch den Bolschewismus und Stalinismus bedrohte heimatliche kaukasische Mythenlandschaft. In seinem publizistischen Kampf gegen den Bolschewismus schlug er sich später fatalerweise mit zwei apologetischen Büchern auf die Seite des europäischen Faschismus: „Adolf Hitler, von einem fremden Dichter gesehen“ (1939) und „Mussolini, Visionen auf Capri“ (1941), in hohen Auflagen bei Eugen Diederichs verlegt und bibliographisch ins NS-Schrifttum aufgenommen. Es ist vor diesem Hintergrund natürlich folgerichtig, Teut Ansolts „Waffenstillstand“ nach der Niederlage des Faschismus schon wegen dieser Quelle aus zu sondern.
Indessen muss man noch weiter gehen und fragen, ob nicht thematisch auf der Spur kaukasischer Heldenmythologie hier 1933 eine ideologische Neuorientierung teuts begann, mit der er sich bei dem neuen Reich anbiederte. Müllers beiden Jungenspielen vor dem „Waffenstillstand“ ist keine zeitbezogene politische Tendenz anzumerken.[3] Aber „heldisches“ Spiel um Krieg und Frieden steht in diesem Schicksalsjahr Deutschlands in einem neuen politischen Kontext, auch wenn nach einer Aufführung vor dem NS-Jungvolk in Thürimgem ein sofortiges Verbot wohl kaum den Inhalt, sondern einen institutionellen bündischen Führer als Autor und seinen Bund, die Deutsche Jungentrucht traf und drittens den missliebigen bündischen Verlag Günther Wolff in Plauen.
Das Heldische mit durchaus verschiedenen Akzentsetzungen ist damaligem bündischen Denken und Dichten nicht fremd, nimmt man z.B. Eberhard Koebels „Heldenfibel“ der d.j.1.11 (erschienen im November 1933)) und deren Samurai-Kult (in Auseinandersetzung mit der Zen-Philosophie) neben dem an russischer Kosakenfolklore inspirierten martialischen Liedgut (Koebel: „Soldatenchöre“, teut: „Lieder der Trucht“, beide Ende 1933). Die Nachahmung bzw. Aneignung ist einerseits Schwärmerei, Flucht in Gegenwelten, geht andererseits jedoch auch und gerade in jungenschaftlichen Bünden darüber hinaus und unterliegt nicht nur verbal paramilitärischen Übungsformen. Die von Arno Klönne vorgenommene Differenzierung zwischen Hitlerjugend als völkisch orientierte, hierarchisierte Organisation mit „Dienst“-, Lager- und Aufmarschkultur einerseits und erlebnisorientierte Wanderfahrten und freier Gruppenführung bei den Bündischen andererseits konstatiert Mischformen in bestimmten, auch defensiven Zeitabschnitten.[4]
Hier im „Waffenstillstand“ schlägt unter Rückgriff auf das eigene kriegerische Liedgut teuts Einleitung einen intensivierenden Ton an, der die bündische Heldenmythologie des Jahres 33 in Bezug zur neuen politischen Situation setzt:
„Die neue deutsche Jugend sucht das Bild und die
Deutung ihrer Haltung und Gestalt. Aus ihrer Ge-
sinnung soll es entwachsen und zugleich soll es sich
rückwirkend wieder als eiserne Zucht in ihre Seelen
und Leiber brennen.
Der unerbittliche Dienst, den sie sich heute aufer-
legt, soll nicht dumpf und schwer in ihnen lasten,
sondern die Sterne des höheren völkischen Sinnes
sollen durchhellen und jenes Bewusstsein von Art und
Wollen geben, das jene Unerschütterlichkeit schenkt,
die von keiner Mühsal zermürbt werden kann.
Solche Gemeinschaft im heldischen Opfer und in
heldischer Zucht vermag nur das dramatische Spiel
zu geben, in dem das Heldische nicht nur Stimmung,
sondern Tatbild wird, in dem das tragische Wider-
spiel der Kräfte die Erkenntnis der großen Schicksals-
gerechtigkeit gibt.
Tat werde darin zum Bild, damit Bild wieder Tat werde!“
Nicht nur der Begriff „völkisch“, sondern der Wertekanon von Gesinnung, „eiserne Zucht einbrennen“, Opfer, Schicksal und (sublimer) Dienst spiegeln eine Orientierung an der neuen nationalsozialistischen Jugendideologie wider, selbst wenn der Schlusssatz dies abstrahierend mildert. Er ist rhetorisch nicht zufällig ein Chiasmus, d.h. eine Figur der totalen Umkehr unter Beibehaltung derselben Elemente.
Man muss in einem nächsten Schritt kurz die Originalfassung bei Robakidse untersuchen, um Teut Ansolts Programm und dessen Realisierung auf die Frage hin zu untersuchen, wie weit hier der Beginn einer graduellen Selbstgleichschaltung vorgenommen wird oder welche Wurzeln der Affinitäten noch weiter zurück reichen. Dazu sind zudem Parallelen in der Schriftenreihe der Trucht, „Der Große Wagen“, zu analysieren, die teut ab 1934 persönlich herausgibt. Als Gegenkonzept soll zuvor Eberhard Koebels „Heldenfibel“ vergleichend heran gezogen werden. Rückblickend muss auch Karl Christian Müller zu seinen politischen Motiven aus seinem Briefwechsel mit Werner Helwig gehört werden, einem bündischen Autor, der immerhin in den dreißiger Jahren das Reich zu meiden hatte.
Grigol Robakidse: Der Imam Schamyl
Nach siebzehn Jahren Krieg gegen der Russen, die die Freiheit des Kaukasus bedrängen, sind der Imam Schamyl und seine tschetschenischen sowie anderen Verbündeten trotz mancher Siege erschöpft und das „furchtbare Wort ‚Waffenstillstand’“ (S. 69) geht unausgesprochen durch ihre Köpfe. Niemand hat allerdings den Mut, mit dem Imam darüber zu sprechen, um nicht als Verräter zu gelten. Man bewegt dessen Mutter, den „feuerfest gehärteten Charakter“ (S. 71) ihres Sohnes zu erweichen. Er hört sie zwar an, doch statt den Obersten Rat einzuberufen, reitet er allein davon: „Waffenstillstand, das war die Schande“ (S.73).
Daraufhin hat er eine Art Schlüsselerlebnis äußerer Motivation:
An einer Quelle trifft er auf Krieg spielende Kinder, die sein vor sich hin gemurmeltes „Wir werden die Feinde schlagen“ (S. 74) begeistert wiederholen. Ihr unbesiegbarer Führer Schamyl, den sie nicht erkennen, werde die Feinde schlagen! Ermutigt, doch an seiner Stärke noch zweifelnd zieht dieser sich einen Tag lang in die Moschee zurück, ehe er zur beunruhigten Menge hinaustritt. Der Prophet, so stammelt er pythisch, habe hundert Peitschenhiebe demjenigen zugedacht, der als erster zum Waffenstillstand rate. Die Mutter bekennt sich dazu. Schamyl will opferbereit 95 Hiebe auf sich selber nehmen, da erschallt ein Ruf aus den Reihen der Kämpfer: „Wir wollen keinen Waffenstillstand. Wir kämpfen, bis zum Tod!“ (S. 77) Eine kollektive dionysische Begeisterung greift um sich: „In dem lebendigen Körper der Masse wurde die wirre und dunkle Gestalt des Rauschgottes spürbar. Das Volk zerriß sich im Überschwang seiner Kräfte“ (S. 78) und beginnt zu tanzen. Der Imam Schamyl schwingt sich auf sein Pferd und, gefolgt von seinen Mannen überspringt er unversehrt eine gewaltige Schlucht: „Reiter und Pferd wurden eins wie ein Zentaur“. (S. 79)
Mit diesem abrupten mythischen Aufschwung endet die Novelle. Man weiß implizit, dass der Kampf weiter geht, genährt aus der neuen Energie des gemeinschaftlichen Willens und des Wagemutes des Anführers.
Der Waffenstillstand, ein heldisches Spiel von Teut Ansolt
Die Bearbeitung der Novelle Robakidses durch Müller ist literarisch sehr ambitioniert, denn sie unterlegt der Gesamthandlung das klassische Tragödienschema hier mit fünf „Auftritten“ statt Akten und versifiziert die Dialoge. Die jambischen Verse verweisen auf die Klassik, der sprachliche Duktus erinnert an Stefan George. Das Heldische spielt sich auf der Ebene der Fürsten ab. Die Kinderszene, aus der man als Plot in der Tradition der Bewegungsspiele eines Martin Luserke auch die Perspektive der Jungen ableiten könnte, bleibt in ihrer Funktion und in ihrem Umfang unverändert.[5] Andere Änderungen knüpfen signifikativ an die Welt der bündischen Jungen an. Der Imam Schlamyl, den Ansolt im Zitat schon „Chlamyl“ schreibt und damit eine jüdisch klingende Assoziationen beiseite schiebt, wird hier zum „Herzog“ („Führer“ ist semantisch vergeben) namens Ili. Diesen Namen führt dann 1934 der Held in eigenen Erzählungen (wahrscheinlich teuts) in der Zeitschrift der Trucht, „Der Große Wagen“.[6] Hier im „Waffenstillstand“ scheint anfangs der nominelle und situative Kontext auf eine bündische Realität bezogen, indem die elf Protagonisten zum Teil mit Fahrtennamen (der Uraufführer?) wie „Ossi“, „Helgi“ oder „Götz“ oder sogar „Tasso“ in einem Lagerfeuerszenarium belegt werden. Der islamische Hintergrund erscheint neutralisiert. Statt in die Moschee zieht sich Ili in einen Tempel zurück und nicht der Prophet spricht zu ihm, sondern der „Herr“.
Im ersten Auftritt beraten die im Feldlager versammelten Fürsten in der Morgendämmerung. Lied („Der Morgen dämmert, Krieg ist entfacht“[7]) und Tanz stimulieren Kampfentschlossenheit und Opferbereitschaft:
„[..] Der Kampf gebiert
den Tod, und Kampf ist unserer Seele Lust
und Zeugung. Wir verleugnen nicht das Kind
der Lust, das sich in Schmerz gebiert.“ (S. 5)
In einem langen metapherreichen Monolog wird der gerade errungene Sieg angesichts der Übermacht der hasserfüllten und feigen Feinde darauf hin befragt, was es für ein Sieg sei, wenn alle stürben und was das Todesopfer nütze.
„Weil unsere heldische Art der ganzen Welt
ist fremd und ihre Ruhe stört, wollen sie
uns meucheln, aus uns rotten wie ein wild
Getier. In Riesenmassen wollen sie uns
erdrücken, ohne eigenes heldisches Opfer,
Polypenarme greifen schon nach uns.
Wieviele Arme hieben wir schon ab?
Es wuchs ein jeder nach. [..]“ (S. 6)
Der Rat, einen Waffenstillstand anzunehmen, wird mit der Hoffnung verbunden, nach einer Erholungsphase den Kampf frischer wieder auf zu nehmen. Aber wer trägt dies dem Herzog Ili vor, ohne als feige zu gelten? Die einzige, die ohne Scham vor ihn treten könnte, wäre seine Mutter, die zugleich die Mutter des ganzen Volkes ist.
Der zweite Auftritt spielt im Schloss. Die Mutter, hier Otgeb genannt, soll davon überzeugt werden, dass sie allein den Stolz des Sohnes beugen kann. Der Waffenstillstand sei der letzte Funke Hoffnung für alle.
„Doch seiner Tat Gesetz ist mir so fremd
wie euch. Er herrscht, und ich muss dienen ihm
wie ihr. Er hat sich längst von mir gelöst.
Er kennt nur sein Gebot.“ (S. 10)
Der kurze, dramatische dritte Auftritt beginnt mit einem Umschwung: die Mutter fühlt sich unfähig, den Auftrag aus zu führen und ruft vergeblich die Fürsten zurück. Ili tritt herein und erfährt sofort, worum es geht. Ihn interessieren zunächst, wer die Gesandten waren, flieht dann aber in die Einsamkeit.
Ili hält sodann (Auftritt IV am Brunnen) einen selbstquälerischen antithetischen Monolog, zweifelt an seiner Härte, deren Ursprung Teut Ansolt psychologisch als heroische Genese begründet und damit weit über die Quelle hinausgehend: Ili lag als Jüngling zwei Tage verwundet in Todesnot und ersteht daraus neu, gewaltsam durch sich selber verwandelt:
„Damals in Todesnot erdrosselte ich alles,
was schwach in mir war, damals erstand ein Wesen
aus meines Blutes Qual, das alle Frage
in mir erstickte, ward ein andrer Mensch
in mir geboren, jener, der den Tod
bezwang. Wie ich den Degen ausriß aus
der Brust, riß ich das aus, was Mensch gewesen
und Gott stand in mir auf [..]“ (S. 12)
In diesem Augenblick höchsten Widerspruchs zwischen seiner heroischen Mission und dem aktuellen Zweifel an deren Gültigkeit nähern sich Knaben dem Brunnen, um ihre Dolche zu härten. Ili tritt näher, trinkt und spricht gegen den Zweifel affirmativ vor sich hin:
„Wir werden doch den Feind besiegen!“ (S. 13)
Hier vollzieht sich die Peripetie in klassischer Dramatik. Wie angekündigt, wird Wort Tat: Die Knaben jubeln siegesgewiss und schwingen ihre Dolche im Vertrauen auf den Herzog, den stärksten Held des Volkes, ohne dass sie ihn vor sich erkennen, was den Umschwung noch erhöht: „Niemand kann ihn besiegen“. Der Unbesiegliche besiegt auch den unerkannt anwesenden Ili. Die nächste Generation hat daran keinen Zweifel und Ili hört darin Gottes Stimme wie einst Augustinus im „lege tolle“.
Die Schlussszene zeigt Ili im Tempel, wo er zu einer Einsicht kommt, die so nicht aus der Quelle Robakidse entlehnt wird. Das Verhängnis eines gemeinsamen Untergangs wird akzeptiert:
„[..] Wenn wir auch untergeh’n,
die Sage unseres Heldenkampfes wird andere
erwecken, Volk von gleicher Art wird sich
erheben wie die Sonne neuen Tags.
Ohne Opfer sterben wird nicht Sonne sein!“ (S. 14/14)
Ili tritt vor das verunsicherte Volk. Jetzt erscheint die Peitschung der Mutter, die Ili bis auf fünf Schläge auf sich selber nehmen will, fast wie eine geplante Selbsterniedrigung, die das Volk nicht ertragen kann und deshalb zum Selbstopfer bereit ist. Alle schreien, dass sie bis zum Tod kämpfen und mit dem unbesiegbaren Ili siegen wollen. Als Kampflied erklingt der Truchtgesang: „Es bebet die Erde“. Ili schwingt sich auf sein Pferd und rast „wie seines Willens Sieg“ (S. 15) los und wagt den Sprung über den Abgrund:
„[..] Heil, Heil, Heil dem Herzog!
Alle: Er gab des unerhörten Siegs ein Zeichen!
SCHLUSS“ (S. 16)
Die stoffliche Verkürzung intensiviert den abrupten Ausgang. Als Geste des Anführers steht der große erneuerte Aufschwung, dem alle siegestaumelnd folgen werden. Dass dazwischen ein Abgrund droht, wird von den zum Herzog jenseits der Schlucht erhobenen Blicken übersehen. Sieg- und Heilgeschrei als Manifestationen von Opferbereitschaft, Heldentum und Gefolgschaft leiten entsprechend dem Vorwort eine neue Zeit ein und erfordern neue militärische Verhaltensweisen in der Jugenderziehung. Teut kann als Jungenführer, der dieses heroische Spiel von Knaben aufführen lässt, die Tragweite seines Trainingsspiels 1933 nicht abschätzen und auch nicht die Tragödien, die aus dem Kampfgeschrei der Massen entstehen werden. Der Autor drückt nicht nur eine revanchistische Haltung aus, er arbeitet an ihrer Ausformung mit.
Heldentum I
Es gab im politischen Spektrum der Gesellschaft vor 1933 durchaus warnende, unüberhörbare Stimmen mit pazifistischen Positionen. Kurt Tucholsky alias Ignaz Wrobel schrieb anlässlich eines Hochverratsprozesses in „Die Weltbühne“ einen Aufsatz „Der Leerlauf eines Heroismus“.[8]
„Dieser Heroismus läuft leer. Es ist das Heldentum an und für sich, also gar keines. Der vage Begriff „Vaterland“ ist eine mythische Formel, und gegen nichts wehren sich diese Männer so wie gegen eine gedankliche Auflösung ihrer pseudoreligiösen Formeln, und sie wissen sehr gut: warum. Es wäre das Ende. Das blanke Nichts träte zutage. [..] Was die jungen Leute aus den heute „Bünde“ genannten Vereinen sagen, ist nicht viel anders. Man sei ein für alle Mal – gegen rechts oder links – misstrauisch, wenn jemand den Angriff auf einen Standpunkt mit dem Geschrei „Gotteslästerung“ erwidert. Dann ist etwas faul.
In beiden Lagern, bei der Reichswehr und den nationalen Bünden, herrscht derselbe Leerlauf des Heroismus. [..]
Mars ist blind und hat keinen Kopf. Er hat nur einen Helm.
Und ihr spiegelt euch in diesem Helm. Wie hat es 1914 so weit kommen können? Wie war das möglich? Es war möglich durch eine raffinierte und gewitzte Vorarbeit; durch ein tagtägliches Trommelfeuer von Kriegsvorbereitung, durch die Marktschreierei eines leerlaufenden Heroismus.“
Soweit derjenige Warner, dessen Schriften zusammen mit denen Ossietzkys, des Herausgebers der „Weltbühne“, im Mai in Berlin dem Feuer übergeben wurden mit folgendem Ruf: „Gegen Frechheit und Anmaßung, für Achtung und Ehrfurcht vor dem unsterblichen Volksgeist!“[9] Die Wertegriffe einer sogenannten neuen Epoche sind antithetisch, wobei die Antithesen aus einer völlig abstrusen Einschätzung abgeleitet und damit von Natur aus schief sind.
Die Idee eines bündischen Heldentums wird in unserem Zusammenhang Ostern 1931 vage thematisiert, als die neue „Deutsche Jungenschaft Fulda-Bund“ (in der Eisenbahn am 6.5.1930 auf der Haltestelle Fulda beschlossen), zu der teut als Mitbegründer mit seinem Gau Trucht gehört, unter der Führung von tusk (Eberhard Koebel) das sogenannte Sühnelager am Traunsee/Österreich zusammen mit den österreichischen Gruppen veranstaltet. Die anschließende Dokumentation wird Teut übertragen, der mit folgendem Programm (in Georgischer Kleinschrift und Interpunktion) um Beiträge der ca. 300 Lagerteilnehmer bittet:
„vergesst nicht des wunsch tusks. gute und zahlreiche einzelberichte vom sühnelager verfassen. schreibt konzentriert und stark über das was euch am klarsten zum bild geworden ist. z.b. das große zelt, das kohtendorf, see und berg, die führer, unser tanz, das groteskspiel, der fackelzug, die nacht, fahnenwache, gesamtverlauf des lagers, das reichshordenschiff, unsere gespräche, freundschaften, ausklang usw. auch im thema kann viel erfindung stecken. schickt alles sofort an mich, lasst die erlebnisse zwar sich klären, aber nicht verblassen, schreibt gut, erlebnisfrisch, nicht zu billig impressionistisch, expressionistisch, reportenshaft. überall walte unser tiefer geist und die heldische gesinnung“.[10]
Hat der letzte Satz die Teilnehmer verschreckt? Acht Tage später mahnt teut:
„bisher ging kein einziger bericht ein. wenn ihr nicht wollt, machen tusk und ich alles allein.“[11] Der letztere zieht in derselben Rakete 44/45 eine desillusionierte Bilanz dieses Lagers. Er sei nicht mehr gutmütig und sozial, sondern drohe mit Degradierung und der Aburteilung der unwürdigen Kordelträger. Die Bundesführung steht offenbar mit ihrem Kurs ohne Volk da. Eine Woche später sind folgende Lagerthemen noch unbearbeitet: „wahl des profos“[Lagerpolizist] (redeschlacht, maschinengewehr, dynamit, sprechchöre, abstimmung), [..] kuli, der kommandant“, [..]. Das an Teut in Auftrag gegebene Buch ist nie fertig geworden. Es lag wohl auch daran daran, dass die Auflagen nicht der vorher gegangenen Erlebnisdarstellung der Jungen entsprachen und sie diese nicht umsetzen konnten: „größer anlegen. nicht bloße aperçus und episödchen. viel gesinnung hineinlegen. [..] das s.l.b. [= sühnelagerbuch] wird sehr feierlichen charakter tragen. ich werde über den fortgang berichten. aus manchem erschließe ich furcht vor meiner kritik. diese feigen kadetten! lasst es doch darauf ankommen! wir schreiben doch keine schulaufsätze. [..]“
Die programmatische Orientierung hatte tusk im März in der internen Schrift „Tyrker“ 15 kategorisch als „Lagergesetz“ selber vorgegeben.[12] Diese acht Gesetze und neun Verordnungen sind pure Anmaßungen und lesen sich wie diejenigen einer militärischen Bewährungskompanie. Man darf nicht vergessen, dass die Gruppenmitglieder im Schnitt zwölf bis vierzehn Jahre alt waren.
„I. Es gibt beschauliches Geniessen und Erleben des Einzelnen und seiner Freunde, und es gibt dienstliche Gesinnung: mit den Gefährten fürs grosse Werk (für das schon sehr Kostbares geopfert worden ist) leben. Unter der Fahne dieser Gesinnung steht das Lager.“
Die Paragraphen zwei und drei richten sich gegen Trägheit, Faulheit und Lügen. In IV heißt es:
„Herumlungern, körperlich und geistig, ist streng verboten. Langweiler werden beseitigt.[..]“
„V: Beim Arbeitsdienst zeigt sich jede Tüchtigkeit. Wer zurückkommt mit „Befehl unausführbar!“ , darf nicht mehr normal aussehen.“ Und schließlich:
„VII. Kein gesinnungsloser Satz darf auf dem Lager gesprochen werden. Disziplinlosigkeit kommt vors Platzgericht. Rücksicht auf Gesinnungsschwache kommt vors Platzgericht.
VIII. Die Horten „Leibgarde“ und „Rominshorde“ haben in allergrößter Kälte Zeltfahrten mit Elfjährigen gemacht. Kein Schneesturm und keine Hungerkur wird unsere Laune trüben.“ [..]
Da scheint wenig Raum vorgesehen für das Geniessen im ersten Absatz. Die Verordnungen zeigen unverhohlen die militärische Orientierung:
„6. Alle Gauführer und Kuli [später „jungengeneral“, SS-Mann und zuständig für die Militärartikel in der Zeitschrift „Die Kiefer“] haben volle Befehlsgewalt. Jeder Befehl eines Gauführers ist in „Habt-acht“-Stellung zu wiederholen. Meldungen werden ebenfalls in „Habt-acht“-Stellung gemacht. [..]
9. Beim Schiessen ist besondere Vorsicht geboten. Wer dabei ertappt wird, dass er mit geladenem oder ungeladenem Gewehr auf jemand zielt [! ], wird unweigerlich hart bestraft. Besondere Schiess-Verordnungen werden an der Schiessbahn angeschlagen“.
Schon zuvor hatte tusk verlangt: „Sühnemannschaft muss gut exerzieren können“.[13]
Ganz entscheidend für dies auch schriftlich zu prägende Jungen- und Gruppenbild ist die militärische Ausrichtung. Das Stichwort „Heldentum“ taucht explizit in den obigen Befehlen nicht auf. Es muss die Summe der regelgerechten Verhaltensweisen sein, die zudem in die Zukunft weist. Dominant geht es dabei um Ein- und Unterordnung, Tugenden, die zwei Jahre später den Übergang ins Jungvolk und in die HJ erleichtern werden.
Tusk selber verschreibt sich nach dem Lager dem großen nordischen Abenteuer und entweicht nach Nowaja Semlja. Vorher liefert er aus der Perspektive seines mit marschierenden Hundes einen launigen Lager-Bericht, weit entfernt vom markigen Stil der „Rakete“ und eher wie eine Parodie auf das eigene Konzept.[14] Im Hintergrund dessen, dass das Sühnelagerbuch nicht fertig wird, zeichnet sich schon die Distanz zum politischen Zickzackkurs tusks ab, der ein Jahr später zum Bruch und zur Feindschaft mit teut führt.
Die definitorische Debatte um das bündische Heldentum geht unter der Diktion tusks zunächst gemeinsam weiter. Das militärische Paradigma kommt dabei im Wesentlichen auch von ihm. Er ist, was man immer übersieht, 1931 gerade 24 Jahre alt, sieben Jahre jünger alt teut, der den ersten Weltkrieg im letzten Jahr noch in Schlesien aktiv mitgemacht hat und 1919 als Funker und Melder im Freiwilligen-Bataillon von Liebermann im Baltikum tätig war.
Militaria
Ausgehend von Teut Ansolts heldischem Jungenspiel „Der Waffenstillstand“
(1933) sind wir dabei, thematisch das verwandte bündische Umfeld ab 1931 zu
untersuchen in einer Phase, in der die beiden Anführer tusk und teut noch konzeptuell
zusammen arbeiteten. Der politische Slalom tusks hin zur KPD frühestens nach
der Novaja Semlja Fahrt mit geheim gehaltenem Beitritt am 20. April 1932 bis
hin zu dessen Kurswechsel mit der Aufforderung „Hinein in die HJ“ im Sommer
1933 ist im Hinblick auf teut stark zu differenzieren, gleichwohl auf der gemeinsamen Basis eines konstanten
bündisch applizierten Militarismus, den wir in seinen Aktionsformen beim
Sühnelager schon im Wesentlichen darlegten.[15] Die
Konzepte entwickelt tusk in seinen Zeitschriften weiter. Sie gehen später auf
Gegenkurs zur Staatsjugend HJ und Jungvolk, aber auch zu teuts Jungentrucht und
deren Denkformen.
Die militärische Komponente des neuen Heroismus wird sprachlich
und organisatorisch aus der Tradition des Kaiserreichs und besonders des 1.
Weltkriegs sowie der Reichswehr abgeleitet, in einzelnen Bereichen abgewandelt
und eigenständig ergänzt. Eberhard Koebel-tusk hat aus seiner Militär- und
Kriegsbegeisterung nie einen Hehl gemacht .[16] Er
verkörpert innerhalb der bündischen Jugend ein charismatisches - und deshalb schwer bündnisfähiges - autoritäres
Erziehungsideal.
Nimmt man die forcierten Lagergesetze des Sühnelagers ex
negativo, so wird disziplinarisch gegen Faulheit, Drückebergerei, Frechheit,
Ungehorsam, Verweichlichung und Individualismus in den eigenen Reihen angegangen.
Je strenger das Maß und die Drohungen, desto stärker ist der Verdacht, dass
diese Normsetzungen auf eine soziale Realität in den Gruppen reagieren, die ihnen
bei weitem im bündischen Normalbetrieb nicht entsprach. Die Revolte der
Jugendbewegung seit dem Wandervogel galt gerade den bürgerlichen Wertbegriffen
zu Gunsten einer anarchischen, sich in der Natur auslebenden Alternative.
Diesen Impuls versucht das Regelwerk zu unterdrücken bzw. zu kanalisieren.
Was dabei allerdings nicht übersehen werden darf: die
Publikationsformen spiegeln in sehr unterschiedlicher Weise diesen Trend wieder.
Kurze organisatorische Mitteilungen wie die „Rakete“ oder auf Seiten der Trucht
der „Sender“ greifen gern auf einen Befehlsjargon zurück, der sich in längeren
Texten relativiert und durch Reflexionen abschwächt.[17]
Die Autorität der Führung realisiert sich in der
Durchsetzung von Disziplin.
Hier stehen Erfolg und Misserfolg wie aufgezeigt nebeneinander,
d.h. militärisch Beförderung und Degradierung in d.j.1.11 durch ein ganzes
System verschieden farbiger Kordeln, die verliehen und unter dem Kragen der Jungenschaftsjacke
zumindest auf Fahrt und Lager sichtbar getragen werden. Sogar die elementare
Ausdrucksform der Gruppen, das gemeinsame Singen, unterliegt nicht, sondern dient
der Normierung: „In Berlin haben wir einen Chor mit etwa 35 Jungen und Burschen
gegründet. Dort wird sich unser Singen rasch entwickeln. Es trägt einige Züge: Betonung
der Disziplin zur vollkommenen Übereinstimmung der Gruppe, Kampf gegen
individuelle Eitelkeiten, saubere und einfache Tonführung, Takt.“ („Die Kiefer“
5, Juli 1933, S. 16). Tusks „Soldatenchöre“ vom Oktober 1933 realisieren dieses
Konzept: „Das Chorlied gehört unter den freien Himmel, in die Kohte, ins
Manöver, in den Arbeitsdienst.“[18] „Nur
straffe, harte geübte Leiber geben die richtige Resonanz ab […] Disziplin in
jedem Ton“. Die neue Zeit hätte für solch pervertierte bündische Traditionen
dankbar sein müssen. Hier schließt sich tusk ungewollt an teuts Vorwort zum
„Waffenstillstand“ an.
Grotesk anmutende demonstrative Aufmärsche hatte tusk schon im
Frühjahr 1932 geplant in einem „Aufruf zur Rotgrauen Tat im Osten“, wobei er
eine Jungenarmee von Danzig über Gdingen durch Ostpreußen zur Memel marschieren
lassen wollte.[19] Sein politischer
Kurswechsel zur KPD mag dies verhindert haben. Ein Jahr später, im Juli 1933,
ist das militärische Erscheinungsbild auch ein Mittel der Tarnung gegen
Übergriffe der SA oder HJ im Sommerlager auf Langeoog, wo man sich auf dieser
abgelegenen Insel für „Deutsches Jungvolk“ ausgab und den NS-Landrat ebenso
erfolgreich täuschte wie die „Zeitläufte“-Verfasserin des tusk-Porträts noch
1997.[20] Hier
verbirgt sich ein zweigleisiges Strategiekonzept. In dem anonymen Bericht „Ein
Lager an der Nordsee“ schreibt mit Sicherheit tusk selber ausführlich im
„Eisbrecher 12/1933 über das Lagerprogramm.[21]
Neue Akzente werden gesetzt, denn neben dem
bündisch-martialen Getue beschäftigt man sich mit künstlerischen
Ausdrucksformen „ohne straßenschreierische Aufdringlichkeit“ (S.186). Unter
Berufung auf teuts „Die Rhythmischen Masze“ entstehen „Poetische Bemerkungen“,
formal den japanischen Haikus angenähert und in guter bündischer Weise.
Naturbezogen, d.h. hier auf die Nordsee.
Die Frage nach der Identität in Bezug auf den
Nationalsozialismus stellt sich dringender bereits ab Mai 33 in „Die Kiefer.
Monatsschrift für eine junge Gesinnung.“[22] Tusk
definiert die Frage „Was ist d.j.1.11?“ mit einer Gegenfrage: „- eine
Eigenschaft?“ Die Existenz der Mitglieder schöpfe ihre höheren Kräfte aus
denselben Quellen, die aber weder Flucht in die Abgeschiedenheit noch leere
Geschäftigkeit seien. „d.j.1.11 wird sich vom „Bund“ zum „Orden, dann zu einer
Art Konfession entwickeln. Politische Bestrebungen sind aufgegeben.“[23] Er
schließt den Lagebericht über die Deutsche Jungenschaft allgemein ab:
„Die Bünde werden verschwinden. Wir weinen ihnen keine Träne
nach. Jeder hat aber die Pflicht, dass die besten deutschen Traditionen und
Kräfte in den Neubau des Kulturlebens münden. Und zu ihnen gehört der
Wandervogel und die deutsche Jugendbewegung.
Die NSDAP hat die gesamt Initiative ergriffen. In diesem
Wissen löste ich auch meine politischen Beziehungen und bewarb mich zur
Aufnahme in einen national-sozialistischen Wehrverband.“ (S. 16) Der militante
Charakterzug verbindet sich mit dem kulturellen:
„kuli“ wird in den Folgenummern eine aktuelle, umfangreiche
Rubrik Waffen, Wehrerziehung, neue Kriege, die Reichswehr, die französische
Armee und über den franz. Rüstungskapitalismus verantwortlich zeichnen. „So
hoffen wir einen kleinen Beitrag an der Erziehung einer neuen wehrhaften
Generation zu liefern.“[24]
Heroismus II
Auch wenn die Identität im Sommer 1933 organisatorisch
verschwimmt, bleibt die Verbindung von Wehrhaftigkeit mit einer starken
kulturellen Komponente das Merkmal der tuskschen Jungenschaftsidee. Das konstitutive
geistige Konzept– einschließlich der künstlerischen Ausdrucksschulung à la
Langeoog- distanziert sich von der
rationalistischen Tradition seit Kant und einer für öde erachteten
intellektuellen Entfremdung in Deutschland, sucht hingegen neue Ansätze im fernen Osten.[25]
„Diese Ansätze müssen sich nun rasch zu wuchtiger seelischer Erneuerung
formulieren, weltoffen, erdnah, beweglich, mit einem Wort: jugendhaft“[26]
Damit ist eine klare Trennlinie gezogen zu Heimat und Scholle
der nationalistischen intra-kulturellen Doktrin. Innerhalb der Geschichte der
bündischen Jugend bedeutet dies Anknüpfung an die eigene Auseinandersetzung
z.B. mit der Zen-Philosophie. Alles, was tusk jetzt schriftlich ausführt,
bezieht sich darauf.[27]
Den Rahmen bildet manifestartig eine „Methode zum Heroismus“.[28]
„Um nicht ins billige Pathos der Ewig-warnenden zu
verfallen, wollen wir konkret werden:
mutiger machend, seelisch festigend sind:
a) ganz
allgemein: Weltanschauungen, die sich stark mit der Zeit beschäftigen, sowohl
im Sinn von E n t w i c k l u n g, als
im Sinn von e w i g e r B e s t ä n d i g k e i t. Gedanken, die sich
dem Zeitablauf widmen, scheinen uns charakterlich ertüchtigend;
b) künstlerische
Tätigkeiten und Genüsse: Musik, Rhythmik, bildende Kunst, Theater, direkter
Naturgenuß, Erziehung zur Naturbetrachtung; engste Bindung an Gruppen. Stärkste
Lebensgemeinschaften, persönliche gegenseitige Treueverhältnisse,
Führerverhältnisse, Aufgabe der individuellen Begrenzungen der Seele und
Erweiterung über Gruppen, Nation und Welt;
c) Pflege
und Anerkennung schweigender Verehrung. Das bewusste Zurückdrängen des
Intellekts und der Sprache aus gewissen Gebieten;
d) Versenkung
und die Ansätze hierzu.
e) Selbstbewusstsein
in der Richtung der eigenen Macht, der eigenen Vollständigkeit und inneren
Unabhängigkeit, vereint mit der Identifikation mit Gruppe und Welt.
Demgegenüber empfinden wir als charakterzersetzend,
entmutigend:
a) Weltanschauungen, die sich nur mit räumlichen,
augenblicklichen Gegensätzlichkeiten
befassen, „auf das andere sehen“, so die Gedanken an die Zeit und Ewigkeit
vernachlässigen. Z.B. die mechanistischen Auffassungen und die falsche
Interpretation der Dialektik, d.h. die zu starke Betonung ihres Gegenelementes.
Der Gegensatz ist letztlich nichts Produktives;
b) Auslieferung an
Kitsch, Unharmonie und widernatürliche, unorganische Geschehnisse,
c) Individualismus, ob rein körperlich, wie im Liberalismus,
oder auf individuelles Seelenheil bedacht, wie im Christentum;
d) Ausbreitung des sprachgebundenen Intellekts zur Totalität
(„Eines Tages wird die Wissenschaft alles erkannt haben“, „Was man denkt und
fühlt, kann man auch sagen“.) Das Grundübel unserer Wissenschaft.
e) Oberflächlichkeit, „kurze Gedanken“, Flucht vor sich
selbst, Gedankenlosigkeit, „Liebe zum Lärm“;
f) Ideologien kausaler Natur, die Ursachen und Anstöße
außerhalb uns verlegen, uns unabhängig von dauernden Ursachenquellen machen
(viele Gottesauffassungen).“
So konkret, wie angekündigt, ist dieses Programm wiederum
nicht. Wie soll sich ein d.j.1.11 Mitglied daran orientieren, wie sich dem
Drängen der Staatsjugend widersetzen, die auch Antirationalismus oder
Antiindividualismus für eine Tugend hält? Hier scheint eine Hintertür offen
gelassen, um sich in anderen Formationen dennoch nicht auf einen engen Nationalismus
festlegen zu müssen. Im Bereich der Wehrhaftigkeit wird es dabei keine
Gewissenskonflikte gegeben haben. Von Rassismus ist nicht die Rede.
Tusks Heroismuskonzept hat sich in den Jahren 1931 bis 33
unter dem Druck der politischen Umwälzungen gewandelt, wobei die Konstanten,
anfangs militante Lagerregeln oder eine Plattform für die neue Deutsche
Jungenschaft in der Flugschrift „Der gespannte Bogen“ abstrakter und unter dem asiatischen Einfluss literarischer
und philosophischer geworden sind.[29] Generationstypisch
und heute befremdlich erscheint uns, dass dieses Erziehungsideal unbedingt an
die Vorstellung vom Helden geknüpft sein muss.[30] Die
Methodik des Heroismus steht 1933 ganz im japanischen Kontext.
Dem gegenüber ist festzuhalten, dass das Profil des
jugendlichen Heroismus bei Karl Christian Müllers im Jahr 1933 („Der
Waffenstillstand“) sich ungeachtet der Kaukasus-Mythologie bereits explizit auf
die Ideologie des Nationalsozialismus zu
bewegt. Während tusk mit „Die Heldenfibel“ sein Konzept noch einmal narrativ
zusammenfasst, setzt teut erst 1934 seine Konzeption im Großen Wagen eindimensional
fort.
„Die Heldenfibel“ erscheint (in Frakturschrift) im November
1933 bei Günther Wolff. Diese gut 200 Seiten in der ruhigen Form eines
sechsteiligen Briefwechsels zwischen dem Schüler Leo Velgen und seinem
ehemaligen Lehrer, dem Meister Großschmidt, könnte man gattungsmäßig auf Seiten
des Schülers eine Entwicklungserzählung nennen, auf Seiten des Lehrers
persuasive Lehrbriefe. In diesen kommentiert und normiert der Meister die
Erfahrungen des Schülers, die bis in seine Kindheit zurück reichen und
chronologisch erzählt werden. Ungewohnt für Leser tusks ist das ausführlich
geschilderte maritime Milieu.[31] Leo
Velgen hat sich freiwillig zum Dienst auf einem Zerstörer gemeldet und
begeistert sich über Maschinen und die modernen Waffen für den „nächsten“
Krieg.
Die Marinerziehung zum Seesoldaten illustriert tusks Konzept
der Wehrhaftigkeit, asiatisch ist die Relation Meister-Schüler und die
interkulturelle Reflexion. Der Titel Fibel zeigt den didaktischen Impetus, aber
auch die Welt der desorientierten, schwierigen
Kindheit an.[32] Die
Charakteristika heldischen Verhaltens sind meist beiläufig in die Antwortbriefe
des Meisters eingestreut z.B. gegen die schwächende Idee der Sentimentalität
(S. 44). Rache und Hass macht er an Hara-Kiri und an Hagen fest. Der 3. und 4.
Brief Leos thematisiert das Problem des
Selbstmordes in seiner Familie. Auch seine Karriere als Mitglied einer (man
beachte die neue Synthese) „Ordensjungengruppe“ mit „Nestabend“ und Fahrten
wird ausführlich geschildert, die Sehnsucht nach weiblicher Zartheit nicht
verschwiegen. Der 4. Antwortbrief des Meisters betrifft den 1. Weltkrieg („Der
Große Held liebt die Welt und nicht seine Wünsche und Illusionen“, S. 118) und
beurteilt die Kriegs-Gesinnung der Remarque, Jünger und Renn, ehe er auf die
optimalen Charakterschulung gegen Heuchelei, Krampf und Zwiespalt durch den Zen
eingeht. Den Samurai, den „heroischen“ Meistern Buddha, Laotse und jetzt
besonders Heraklit (gegen Anmaßung und Überheblichkeit) wird breiter Raum
gegeben. Aus den Heraklit-Passagen werden oft Zitate entlehnt. Es gilt dabei,
deren Stellenwert zu beachten, sind sie doch ohne die philosophischen oder
narrativen Umgebungen nicht programmatisch gemeint, d.h. sie sind durch den
Kontext humanisiert und nicht zugespitzt zitierbar. Interessant ist Leos 5. Brief
mit der Klage, dass die Heldenfibel und ihre Prinzipien ihn isolieren und sogar
blamieren. Das Heroismus-Konzept scheitert im kommunikativen Alltag. Seinem
Freund Romanz ist die Heldenfibel zu philosophisch. Im Antwortbrief umreißt der
Meister u.a. noch einmal die Tugenden der Indianerkultur eines Büffelkind
Langspeer. Im letzten Brief des Schülers schickt er die Heldenfibel zurück. Mit
dem Absturz seines Ordenskanzlers im Gebirge schließt die Heldenfibel.[33] Der
Unfalltod macht die Erziehung fraglich und beendet die Lehrjahre.
Der Autor tusk rezensiert sein Opus bereits vor dessen
Erscheinen in „Der Eisbrecher 11/August 1933 jetzt in Bd. 3, S. 309-10. Klar zu
legen, was in der d.j.1.11-Ethik Ehre, Tapferkeit und Treue ist, solle jetzt in
einer Dichtung über das Heldentum erfolgen. „Dieses Buch soll den Heroismus zu
einer begreiflichen Haltung des Alltags machen“ (S. 310).
Die charakterliche Initiation - abgesehen vom Militärdienst - orientiert
sich aber an historisierten Werten und ist wegen der peripheren Bezüge zum Zeitgeschehen für den gefährlichen
Alltag, der eine ganze taktische Bandbreite zwischen Beharren, Verstellen und
Anpassen erfordert, viel zu harmlos Er setzt zwar ein Gegenbild zum
NS-Heroismus, greift es nicht kritisch auf und an, weil hier die wohl höhere
epische Realität tusk umfassender erschien. Das war kurzsichtig. War die Nähe
zu groß?
tusk vs. teut et
invicem
Vor dem Hintergrund des aufgezeigten doppelgleisigen
Heroismus bei Eberhard Koebel-tusk im Jahr 1933 wird jetzt eine
Standortbestimmung tusks deutlicher, die er zu Jahresanfang in der Zeitschrift
„pläne“ vornimmt.[34] Dort schreibt er rückblickend auf die Nr.4
von „Der Große Wagen“ der Jungentrucht, die erst im Januar 1933 erschienen war,
mit Sorge, „dass auch in diesen Kreisen die Pest ausbricht und Jungen dem
Wahnsinn einer müden Gesellschaft geopfert werden. In einem Prolog teuts steckt
eine unmögliche Denkbewegung. Nicht aus der Analogie früherer Heldengruppen
kann die Jugend zu neuem Heldentum geführt werden. Es gibt eben kein Heldsein
ohne Sinn. Man wird immer nur sagen können: „Junge Männer! Diese Arbeit harrt
euer! Schafft sie!“
Das ist eine imponierend hellsichtige Position vor der
eigentlichen Konzept-Bildung. Worauf bezieht sich diese Polemik? Teut gibt in
diesem Heft im Vorwege zum Waffenstillstand kurze Beispiele des Heldentums der
Kosaken, Wikinger und Germanen, die der Tod nicht schreckt: „sie zerstören und
erbauen, aber immer tun sie das, was not tut und was kein anderes volk [..]
errichten kann. [..] „sind sie wahrhaft eure verwandte, sucht ihr euch in
ihnen, mit der ganzen kraft der hingbe, dem wissen um leiden und nöte, um grausame
zucht, um unausweichlichen dienst tag und nacht“. Sein Fazit ist, es werde sich
zeigen, „ob die trucht ein morscher stecken oder ein schwert“ sei.[35] Tusk
nennt dies eine „degenerierte An-Sich-Ideologie“, angeheizt durch die
Anbiederung des „Grauen Corps“ der Alf Block und Fred Schmidt an die
Jungentrucht, gegen die er selber seit Jahren wegen ihrer destruktiven erotisch-elitären
Arroganz angiftet.[36] Alf
Block, bereits in der S.A., stehe für einen grausam exzessiven Kampf an sich.
„Für die Revolution? Für die Freiheit?“ (S. 249). Endlich fällt der Begriff,
von dem später bei tusk und auch bei teut nicht mehr die Rede sein wird. Teut,
der die „schädlichen Einflüsse des bösen Kommunisten tusk von den Jungen“ abhalten
konnte (S. 249), verfalle den „Selbstmordfantasien der Zukunftlosen“ (S. 250).
Die d.j.1.11 Literatur sei konkret und nicht pathetisch abstrakt und
unverbindlich.
Teut vermeldet im März 33 in der Beilage „ Sender“ des
Großen Wagen „tolle Angriffe“ tusks, setzt sich aber mit ihnen nicht auseinander.
Es scheint, dass tusk aus dieser seiner Ablehnung und sicherlich auch im Blick
auf die Machtergreifung Ende Januar jetzt konzeptuell unter Druck weiter denkt.
In „Der Eisbrecher“ 6/März 1933 schreibt er anonym: die neue Denkart, die aus
den Beiträgen leise spreche, solle sich umsetzen in „junges, neuartiges
Heldentum im Kampf um die Autonomie. Dieses zukünftige Heldentum hat nicht die
Farbe der spartanischen Männer, der frommen Ordensritter, der französischen
Edelleute im Duell, der Lützowischen Jäger, der schweigenden
Granatendreherinnen in den Weltkriegsländern. Dieses anbrechende Heldentum hat
eigene Farben und eigene Gestalt. Krasser und greller. Kristallklare Höhenluft
umgibt die Gehirne. Traumlos, rauschlos ist das.“[37]
Zur Freiheit gehört natürlich die Autonomie, d.h. die
Selbstbestimmung. Sie unterscheidet sich vom Denken teuts und dem Gesetz der
Trucht gerade durch dieses „auto[s]“. In der hier nicht beabsichtigten
Geschichte der drei Müllerschen Truchtgründungen (1930-1950/1-1965) durchzieht
der Begriff „Nomos“ diesen Bund und wird fast mosaisch von teut personalisiert,
wobei sich der Nomos der Trucht selbst bei großem Wohlwollen anderen schwer
erschließt, ist er doch eine ethische Kategorie zusammen mit einer Dimension
von Kirchen- und Literaturgeschichte dieser Vereinigung und ihres Meisters.[38]
Die Opposition der einstigen Verbündeten vom Bahnhof Fulda
resultiert aus politischen Grundhaltungen, die Pfingsten 1932 auf dem
Eiswoog-Lager in der Pfalz kollidierten und kurz erläutert werden müssen. In
einem undatierten Geheimbrief, von dem ein Stapel immer noch druckfrisch im
Nachlass teuts – er wird später Werner Helwig ein Exemplar für die „Blaue
Blume“ zur Verfügung stellen, s.sp. - liegt, kündigt tusk seinen Kameraden an, er
werde am. 20 April der KPD beitreten und übergebe die Führung an bill. Er wolle
Taten statt Worte, die Jugendbewegung sei eine bürgerliche Institution, von der
er sich trennen müsse, ohne dass der Faden zwischen ihm und den Kameraden
abreißen solle.
Tusk tauchte auf jenem Lager mit seinem schwarz
uniformierten Gefolge unter roten Fahnen mit kommunistischen Kampfliedern auf. Drei
Viertel der dort versammelten deutschen Jungenschaft hatte sich schon vorher
von ihm distanziert und scharte sich nun um teut, der Führer einer „Deutschen
Jungentrucht“ wurde - so er selber in
einem unveröffentlichten Entwurf der Geschichte der Trucht von 1971. Die neue
gemeinsame Zeitschrift sollte „Der Große Wagen“ sein unter der Schriftleitung
von assa (Werner Benndorf, Leipzig). Teut selber gibt für die „führer, burschen
und älteren“ die Monatszeitschrift „Der Folger“ ab Juni 1932 heraus.
Wandte sich tusk für ein gutes Jahr der KPD zu, führte
Müller-teut in diesem Zeitraum seinen aus der Enge der Saar expandierten Bund
in die entgegen gesetzte Richtung, ins völkisch-nationale braune Kollektiv. Am
3./4. Dezember entsteht aus der Deutschen Jungentrucht, der Deutschen Jungenschaft,
dem Wikinger Jungenkorps und freien Gruppen die neue „jungenfront“, offen für
weitere Bündnisse und mit einer neuen gleichnamigen Zeitschrift. Das Erbe der
d.j.1.11 und tusks solle nicht verächtlich gemacht werden (vgl. GW 4/1933,
S.31).
Als auch tusk nach der Machtübernahme in die NSDAP eintreten
will, um seine Kräfte konvergierend für
den Kampf Hitlerdeutschland gegen die feindlichen Mächte zur Verfügung zu
stellen, zeigt er sich versöhnlich: „[..] wenn teut seinen früheren führer
einen „Schweinehund“ nennt, so beschmutzt ihn das mehr als mich. Wir wollen aus
der d.j.1.11-jugend einen park machen, in dem zwischen kraft, kunst und
weisheit die grossartigsten burschen erzogen werden, die unsere heimat kennt“.[39]
Viele Kommentatoren nach dem Kriege haben die weniger
spektakuläre Haltung teuts von 1933 für eine esotherische, an Stefan George
orientierte, noble Abseitshaltung beschrieben, weil sie - mangels kritischer Quelleneinsicht - von Müller-tusk mit blauäugiger Hilfe Werner
Helwigs sei den 50gerJahren selber so geprägt wurde. Eberhard Koebels
politische Kapriolen hingegen waren von ihm selber ständig gut, um trotz mancher
Taktik nicht zu sagen, ehrlich dokumentiert und führten zur Ausbildung des
aufgezeigten Heroismus-Konzepts. Er hat dafür mit Verfolgung und Exil bezahlt. Haben
die ruhelosen Aktivitäten tusks den Rivalen teut vielleicht sogar in seiner Entwicklung
zum Nationalismus als Ausdruck eines Widerstandes gegen diesen Verfolger und
Nebenbuhlen beschleunigt?
Diesen Eindruck kann man durchaus gewinnen und von einem
„tusk-Trauma“ bei Müller sprechen, das in Grenzsituationen seiner beiden Trucht-Neugründungen
evoziert wird. Als Erich Scholz (olka), Danziger Hortenführer vor dem Krieg mit
anwachsender, beispielloser, verschwiegener Verstrickung im
Nationalsozialismus, 1959 konkurrierend auftritt und in die Herausgeberfunktion
des Großen Wagens eingreift, beschwert teut sich bei Helwig:„Er schrieb einen
Leitfaden für die Trucht, in dem ausgerechnet die Irrtümer tusks wieder
aufgewärmt werden“ (7.3.59). Ebenso in Bezug auf die Hamburger Gruppen, die
nach 1968 kommunistisch seien, dass tusk nun gesiegt habe und er selber immer
weiter isoliert werde (17.8.73). Ja, er bekennt: alles sei eine Machtfrage
gewesen (14.1.73). Im Großen Wagen 2/1957, S.15 hatte er den „Treuebruch“ tusks
darin gesehen, dass er den Menschen über Bord werfe und die Zwangsjacke eines
Parteiprogramms anlege, währen die Trucht durch das Vertrauen zu ihm [teut]
zusammengehalten worden sei. „Was verstehen sie von Parteiideologien?“ (ebda.).
– Welch eitle Projektion der eigenen Rolle!
Dr. Karl Müller tritt ohne spektakuläre Ankündigung bereits
am 29. März 1933 der NSDAP in dem bis zum Januar 1935 dem Völkerbund unterstehenden
Saarland bei. Dies erklärt er 1955
rückblickend mit falscher Datierung folgendermaßen: „Wir Einheimischen wollten
1934/35 [sic!] alle nach Deutschland zurück. Zu diesem Zweck trat man in die
Deutsche Front ein, in der man nicht nach NSDAP oder sonst was fragte. 1935
trat bei der Rückgliederung eine automatische Überführung in die Partei ein.
Deshalb gab es im Saargebiet mehr PGs als sonst wo. Ich selber war nun außerdem
Kulturbeirat der Deutschen Front und hatte die Abteilung: Schrifttum. Ich hatte
auch damals nicht den Eindruck, dass man allzu engstirnig war, z.B. schrieb ich
einen größeren Aufsatz über Lehmbruck und Marées, der keinen Widerspruch
erfuhr, sondern gedruckt wurde. Der Eintritt in die Partei war für mich nicht
einmal ein Automatismus, sondern ein Akt der Dankbarkeit (für die Rückkehr nach
Deutschland) und so dachten hier fast alle. Vielleicht war das politische
Ignoranz. Aber ich habe da meine besonderen Gedanken über Wissen und Schicksal,
über Hingabe und Sichentziehen. Über meine innere Auseinandersetzung möchte ich
auch keine Rechenschaft abgeben. [und dann abschließend] In meinen Schriften
ist nichts, was man mir politisch vorwerfen könnte. Einzig einige Stellen im
Großen Wagen, wo ich versuchte, durch eine Loyalitätserklärung das weitere
Erscheinen des Großen Wagen zu retten.“[40]
Diese Darstellung entspricht nicht den Tatsachen.
Es kann Dr. Karl Müller nicht entgangen sein, dass sein
Ausweis mit dem Beitrittsdatum 29.März 1933 und dem Ausstellungsdatum 4.10.1933
nicht den Stempel der Deutschen Front trägt, sondern bereits den der NSDAP zwei
Jahre vor irgendeinem Automatismus der Überführung. Wie könnte er sonst seiner
Funktion als Blockwart der Ortsgruppe Saarbrücken-St.Johann-Ost genügen und
1938 zum Ortgruppen- und Schulungsleiter beim Gauschulungsamt Westmark
aufsteigen? Seine Aufsatz- und
Vortragsmanuskripte sind in sechs Mappen im Nachlass erhalten – und mehr als
verfänglich.
Die Wirklichkeit bot sich mehrgleisig an. Als teut stand Müller
weiter dem Bund und ab 1934 auch dem Großen Wagen zur Verfügung. Alias Teut
Ansolt wird er Dichter der Westmark und als Dr. Karl Müller Beiträger der
nationalsozialistischen Zeitschrift „Die Westmark“ seit Beginn ihres
Erscheinens. Seine schriftstellerische Karriere im Blick auf das neue Regime hatte
Priorität und ging nur über die Partei und die Reichsschrifttumskammer. Das Perfide
ist unseres Erachtens nicht die bei Helwig 1968 manipulierte Verheimlichung
einer ganzen Reihe tendenziöser Artikel und Gedichte dieser Jahre, sondern die
Umwertung seines bündischen Gedankenguts, um sich selber weniger zu schützen
als zu profilieren. Dabei baute er gleichzeitig an einem Mythos der Verfolgung,
der er durch Anpassung geschickt vorzubeugen versuchte. Der Völkerbundstatus
der Saar bot einen gewissen Schutzraum – jedoch nur bis 1935, wo die
rücksichtslose Gleichschaltung des NS-Machtapparates keiner Hemmung mehr zu
unterliegen hatte. In den Jahren 1933/34 gelang Müller noch Erstaunliches mit
seiner Stefan George-Eingemeindung und mit dem Konzept des Knaben-Heroismus, um
dem nationalsozialistischem Misstrauen gegenüber elitären homoerotischen
Zusammenschlüssen zu begegnen. Auch die Landschaftspoesie passte sich dem
Heimatkonzept inhaltlich an. Was sich anfangs wie Taktieren einer autonomen
Persönlichkeit ausnimmt, wird mit den Jahren zur festen Überzeugung, die auch
den Schock der Verbote oder der Hausdurchsuchungen während seiner
Hochzeitsreise zu Werner Helwig nach Capri im Juni 1935 kompensieren konnte.
Zunächst hatte er auf die richtige Karte gesetzt. Zwar
wechselte der Große-Wagen -Schriftleiter Assa im Mai 1933 das Lager und schrieb
nunmehr für tusks „Die Kiefer“. Thematisch war die März-Nummer 33 des Großen
Wagen noch bündisch-erlebnisorientiert mit Berichten über eine Algerienfahrt, nächtliche
Naturbeobachtungen und z.B. mit einem Romanauszug aus dem inzwischen verbotenen
B. Traven. Im Oktober (neue folge 3, 2) wird der Leipziger Karl Daniel als Schriftleiter
angegeben: die erste Seite ist nunmehr mit einem Hakenkreuz versehen, es gibt
Fotos vom Jungvolk, daneben jedoch noch überwiegend das gewohnte bunte
Inventar. Auf der Seite 30 erscheint eine briefliche Anzeige:
Der Jugendführer des Deutschen Reiches Berlin,
19.August 33
Abteilung Verbände
Alsenstraße 10
Herrn
Dr. Karl Müller
Saarbrücken 3
Ich bestätige Ihnen hiermit, dass die von Ihnen geführte
Deutsche Jungentrucht ordnungsgemäß gemeldet
worden ist und in derselben Form weiterbestehen kann.
Heil Hitler!
Der Leiter der Abt. Verbände
i.V.
Lichnowsky.
Es ist nicht Müllers neues Engagement, das so schnell zu
dieser Ausnahmegenehmigung führt, sondern der Völkerbundstatus der Saar schiebt
eine Gleichschaltung auf ebenso wie bei den Katholischen Jungenverbänden, die
durch den Konkordat noch einige Jahre Existenzschutz im Reich genießen können,
obwohl der Druck auf die Mitglieder ständig wächst.
Im ersten Halbjahr 1934 erscheint kein Heft. Teut selber
setzt als Schriftleiter mit 4/34 energisch ein und redigiert die drei
Themenhefte: Heldische Freundschaft, Jugend im Schicksal der Völker,
Gefolgschaft (s.u. Heroismus III). Parallel zu Müllers Essais über Landschaft
und Dichtung in „Die Westmark“ thematisiert Heft 1, 1935 „Geheimnis der Natur“.
Das zweite Heft über Gott und die Natur ist fertig, erscheint aber wegen des
Verbots nicht mehr.
Die Periode 1930-1935 wird durch eine längere historische
Erzählung unter dem vollen Namen Karl Christian Müllers abgeschlossen: „Sie
fanden eine Heimat“, Saarlautern o.J., aber eher von 1935 als 1937.
Dieser „Volk ohne Raum“- Text von zwölf Kapiteln vereinigt durchaus
gekonnt viele Merkmale des neuen völkischen Romans, der parabelhaft mit Fakten
vom Ende der Jungenschaft unterlegt ist.
Vor dem Hintergrund unserer Ausführungen und in Kenntnis der
Rivalität teut/tusk entschlüsselt man nun nicht etwa eine versteckte Botschaft
des Widerstandes, sondern eine rechthaberische Sicht teuts auf die vergangenen
Ereignisse.
Postludium patrioticum
Eine Gruppe Pfälzer Christen, von Franzosen und „neuen
Bedrängern ihrer Seele“ aus der Heimat vertrieben, lässt sich 1742 den Rhein hinunter
nach Holland fahren, um von dort nach Amerika in das Land der Freiheit für ihr
Bekenntnis auszuwandern. Jedoch die Grenze ist verschlossen: um ersten Mal
verlangt man Pässe für den Übertritt, die sie nicht erhalten. Die Schiffe
kehren um, nachdem die Gruppe mitsamt ihren Habseligkeiten an Land gesetzt worden
ist. Die preußische Obrigkeit hält das für rechtens und rät zum Abwarten. Der
Exodus droht zu scheitern. Der Anführer Johannes Seemann (Anfang dreißig) hat
alle Mühe mit einem jungen Kantor und Lehrer namens Friedrich Aue (26 Jahre
alt), der die Empörung darüber in der Gemeinschaft anstachelt: „Er war von
heißem Ehrgeiz besessen und gönnte Johannes, der durch seine Ruhe und seine
stille Vernunft alle bewog, sich an seinen Rat zu halten, nicht den Einfluß“
(S. 33). Aue bezichtigt Johannes, dass er nicht mehr den Wunsch habe, dass die
Ausfahrt gelinge – und damit trifft er genau die zwiespältige Grundhaltung des
heimatverbundenen Johannes, der zögert, das preis zu geben, was in den Sternen
seinen Platz halte und zugleich auf Erden seinen Stand habe (vgl. S. 13). Als
er an Xanten vorbei fährt, gedenkt er des Freiheitskampfes eines Helden, „der
sein Volk zum Kampf aufrief, um zu beharren“. (S. 14]. „Und nun verlor er
diesen Glauben selber, dass sie ihr Herz heldisch bewahrt hätten, denn nur der
ist der Held, der das Höchste verteidigt“ (S. 15). Gerade unter den Jüngeren
der Gruppe würden Aues Provokationen die Eintracht der Gemeinschaft gefährden
(vgl. S. 34 f.). Aue gibt bei und die Gegner machen sich zusammen auf den Weg
zum Gericht: „Sie ereichten nichts“ (S. 35).
Der Pragmatiker Johannes lässt Lehmgruben zu Wohnhöhlen
ausbauen. Der anfangs gutwillige Beistand der Anwohner schlägt in Widerwillen
und Verachtung um, Man nennt sie Vagabunden und Bettler (vgl. S. 40). Hier
setzt eine noch „unmögliche“ Liebe zwischen einem jungen Auswanderer und einem
Bauernmädchen ein, erstmalig bei unserem Autor, von der man nur hoffen kann,
dass sie von dem Jungverheirateten nicht auch noch als Schlüsselerzählung
angelegt ist. Sie hat aber die Funktion, das Bedürfnis nach der eigenen Scholle
nun pathetisch zu steigern:
„Er nahm eine Ackerkrume und zerbröckelte sie in seiner
Hand. Erde, fruchtbare Erde! Fernher brüllten Rinder. Er lauschte den Lauten,
als seinen es Sonntagsglocken. Friede, göttlicher Friede! Erde und Frieden
hatte man ihnen geraubt. [..] O wilde Erinnerung, o tödliche Sehnsucht! Ruhe,
aber keine für sie, für den Bettler und Verstoßenen. Nein, sie waren keine
Zigeuner, denen die Verstoßenheit Feigheit und Genuß war. Er war Bauer! Aber
was für ein Bauer ohne Erde! O wäre ihm doch wieder ein Stück Acker seiner
Heimat gegeben, ein Stück deutscher Erde [..]“ (S. 42).
Wenn man hoffte, dies sei eine Parodie, dann irrt man sich.
Vielleicht steckt als Impuls hinter diesem Schrei nach deutscher Scholle ein
Rest der tiefen Sehnsucht des Saarländers, von der die Rede in den Briefen an
Helwig war.[41] Diese
Landschaftserfahrung ist freilich eine ideologische.
Den Aussiedlern bietet man eine Sandheide an der
holländischen Grenze als neue Heimat „in deutschen Landen“ (S. 49) an, die erst
urbar gemacht werden muss. Johannes glaubt bei dieser Nachricht, dass der Ruf
seines Herzens erhört sei. Aber sein Widersacher spricht sich dagegen aus,
indem er an die schlechte Behandlung von Anwohnern und Obrigkeit erinnert:
„Sollen wir in einem Lande bleiben, das uns diese Schmach heute angetan hat?
Soll man uns treten und schmähen, als seien wir durch Trägheit, Liederlichkeit
und Verkommnis, durch Gottlosigkeit und Verderbtheit schuld an unserem
Unglück!? Lieber in die tiefste Wildnis eines fremden Landes, als hier zuletzt
doch noch verkommen“ (S. 51). Johannes predigt Vernunft, weist hin auf die
Tatsache, dass hier Deutsche seien, dass es unnötig wäre, fremde Länder
aufzusuchen. „Laßt nicht Phantome uns begierig machen, dass wir uns zerstreuen
und die getrennten Glieder keine Kraft mehr haben, ein gedeihliches Werk zu
vollenden“ (S. 52).
Man folgt ihm und besichtigt die Heide. Aue ist eifersüchtig
auf Seemann, dem es gelang, durch Klugheit und Rechtschaffenheit seines Planes
die Leute zu gewinnen. „Er [Aue] glaubte, es seinen größeren Kenntnissen und
seiner Gewandtheit schuldig zu sein, das Bessere gefunden zu haben und selber
der eigentliche Führer der Gemeinschaft zu sein“ (S. 53). Er versucht nicht
ohne Erfolg, die Gruppe zu einem Aufbruch nach Ostpreußen zu überreden. „Zwischen
Führung und Verführung zu scheiden, wer vermöchte das ganz. Der klaren
Herzensvernunft Seemanns stand die wendige Geschicklichkeit Aues gegenüber“ (S.
54). Verbittert erkennt jener, dass ihm die Führung entgleitet. Ein Riss geht
durch die Gemeinschaft: sie zerfällt in drei getrennte Lager: die Begüterten,
die auf Pässe und Schiffe warten, die Seemänner und die finanziell völlig
herunter gekommenen zwölf Familien um Aue, dem die Reise nach Osten verwehrt
wird und der sich daraufhin wieder den Leuten Seemanns anschließen will. Als
bettelnde Landstreicher brechen sie schließlich doch noch auf und suchen ihr
Heil im Osten.
Man weiß – der Titel sagt es explizit -, dass die Ansiedlung
gelingen wird trotz aller Widerstände der Behörden wie z.B. eines erneuten
Räumungsbefehls der gerodeten Heide und besonders trotz der widrigen Natur
innerhalb des ersten Jahreskreises mit heftigen Stürmen und einem Winter voller
Not und Krankheiten, obwohl „Jeder suchte, so schnell wie möglich, in das Neue
einzutreten, um wieder heimisch zu sein, wieder an etwas sich gebunden zu
fühlen“ (S. 57). Die Gemeinschaft wächst daran und in erster Linie Johannes
Seemann, dessen „unbändige Energie“ (S. 60) erst erwacht, als er die fast
unmenschliche Bürde der Verantwortung auf sich nimmt. Während der
Sonnenwendfeier vereint sie das Gefühl, wieder Bauern auf deutscher Erde zu
sein.[42] Man
wartet vergebens auf Hilfe von oben. Die Begüterten setzen im Herbst die Reise
auf englischen Schiffen fort und lassen die Ärmeren schamlos zurück. Seemann
stemmt sich gegen jede Androhung von Zwiespalt. Erst im Spätherbst erlaubt man
ihnen die Ansiedlung: „Da endlich war er Wirklichkeit geworden, der Traum von
einem neuen Beginn, ohne dass man den Boden des Reiches verlassen musste, ohne
dass man ganz den Ursprung preisgab, der seit Jahrtausenden diese Menschen
nährte“ (S. 110). Allein Seemann wusste, dass alles nur dann gelingen könnte,
wenn Hilfe käme (vgl. S. 117). Dies Wissen isoliert ihn, nagt an ihm, dass er
„seinen Willen als die Schickung einer höheren Macht“ darstellt (S. 118). In Verabsolutierung
des Führerprinzips erkennt er: „Und einer nur konnte das Schwerste auf sich
nehmen, wer die Führung auf sich nahm als eine Pflicht, die auch vor dem
Scheitern nicht zurückschreckte, der auch auf den Weg rief, wenn der Tod
drohte. Denn wer diesen nicht auf sich zu nehmen wagt, der darf nie einen Weg
gehen“ (S. 119). Dennoch verbindet ihn mit der Gruppe in einer Art „unio
mystica“ eine gemeinsame Seele, die beim gemeinsamen Werk auf der Scholle Leib
wurde und zu einem Wesen verschmolz. „Ihm war, als fordere der heilige Boden
ihre Hingabe durch alle Not, durch alle ihre Schwäche, durch all ihr Unglück“
(S. 129). Mit dem „Strahl seiner festen kristallenen Seele“ (S. 121) wirkt er sogar
als Arzt. Die bestehende staatliche Ordnung ist ungerecht, weil sie den Einsatz
dieses neuen Volkes auf einem verachteten Boden nicht würdigt. Die Not steigert
sich im Frühjahr noch, als man nach der ersten Aussaat den überraschenden Bescheid
erhält, die Heide binnen sechs Wochen zu räumen. In einer Predigt klagt Seeman
bitter die Obrigkeit an und will dennoch alle Schuld auf sich nehmen, weil er
geglaubt hatte, dass er das Werk Gottes durchführe. In diesem dramatisierten
Höhepunkt taucht der Geheime Rat von Motzfeld als „deus ex machina“ auf und
schickt eine Abordnung zum König Friedrich nach Berlin. Dieser teilt ihre
Sorgen und legalisiert ihre Ansiedlung, obwohl er kein Geld zur Verfügung
stellen kann. Ein Fest schließt diese „Geschichte wie eine heldische Legende
der Not“ (S. 162), und man findet endlich auch Akzeptanz bei den angestammten
Rheinländern.
Die Naturschilderungen und die Lebenswirklichkeit dieses
völkischen historischen Romans sind fiktiv. Der historische Rahmen erinnert
vage an Heimatverlust und Auswanderung der
„Schweizer Brüder“ und will dem Leser keine historische Authentizität
vermitteln, auch wenn es so scheint, als würden hier noch einmal latent die
bündischen Jahre vor 1933 mit ihren Antagonisten tusk und teut erhellend abgebildet
werden. Es ist nur ein struktureller Ansatz, um die Entwicklung der Führerpersönlichkeit
Seemanns aus der Not der Heimatlosigkeit heraus in eine neue heroische
Dimension psychologisch glaubhaft zu machen. Die Romanfiguren haben ihre Folien
in der Wirklichkeit. Viele der zitierten Sätze bezieht der zeitgenössische
Leser automatisch auf den Führer des deutschen Reiches und dessen für schicksalhaft
angesehenen Auftrag einer Neubegründung. Aus der Tiefe der Geschichte führen lediglich
Spuren heran, die der Rechtfertigung, aber nicht einer Gerechtigkeit nützen
sollen. Man darf in diesem hyperbolischen Spiegel-Porträt Müllers Eitelkeit
nicht übersehen: er geht wie der große Stifter Seemann einher, gleichrangig in
der Erfahrung von Not, Leid und Verantwortung mit dem Führer des erneuerten
Reiches. Die Verbindung ist schicksalhaft. Der dritte in diesem Bunde ist
Stefan George, der zum literarischen Begründer des neuen Reiches umgemünzt wurde.
Dazu unten mehr.
1933: Heimat Westmark
Hier zunächst die Liste der bei Helwig 1968 nicht erwähnten literarischen,
d.h. nicht bündischen Schriften Karl Müllers:
Die Westmark. Monatsschrift des Volksbildungsverbandes
Pfalz-Saar. Kampfbund für deutsche Kultur in der Westmark:
Teut Ansolt:
Grenzland. [Gedicht] In: 1933/34, 1,Weinmond 1933, S. 27.
Teut Ansolt:
Stefan George/Der Dichter und die Zeit. In: 1933/34, 2, Neblung 1933,
S. 65-68.
Dr. Karl Müller: Die Kulturlandschaft des Saargebiets. In:
1933/34, 4, Eismond 1934, S.
180-183.
Dr. Karl Müller. Das Gesicht der Erde. Der deutsche Geist
der Landschaft. In: 1933/34, 5,
Hornung 1934, S. 231-235.
Dr. Karl Müller: Die schöne Saarlandschaft. In: 1933/34,
1011, Heuert, Erntemond 1934, S.
540-548.
Teut Ansolt: Volk
in Not [Gedicht zur Wahl] Jan 1935, S. 224.
Teut Ansolt
Lothringen. [Gedicht] In: 8, 1940,4, S. 209.
Zwischen den beiden letzten Beiträgen fehlen uns die
Jahrgänge 1936-1939 sowie darauf 1941, in denen sicherlich noch Texte Müllers
zu entdecken wären. Unser Schwerpunkt ist jedoch die erste Hälfte der dreißiger
Jahre.
In der bei Helwig 1968 angezeigten Auslese
pfälzisch-saarländischer Dichtung „Stimme der Westmark“, Neustadt/Haardt 1934
(mit den Herausgebern der Zeitschrift „Die Westmark“, dem späteren
Gaukulturwart Kurt Kölsch und Rupert Rupp) ist Teut Ansolt mit den Gedichten
„Grenzland“, „Später Herbst“, „Hoffnung des Winters“, „Inbrunst des Winters“
und „Beschützer“ vertreten (S. 63-67).
Dem ist nicht so bei dem mit dem vollen Namen gezeichneten
Beitrag in der Prosa - Anthologie „Der Richtstrauss“, Ludwigshafen, Mai 1941: „Wir
bauen am Reich“, S.163-171, eine Summa von Antisemitismus und redundantem Führerkult.
Wir kommen darauf chronologisch zurück, wenn es um seine Rolle während der
Kriegsjahre geht, wo weitere spätere Täuschungen der Datierung Verantwortung
umgehen, weil sie wohl doch schon zur
Schuld der Mitwisserschaft und Mittäterschaft herangewachsen war. Auch die
Beiträge aus „Die Westmark“ sollen gerade wegen ihrer Unzugänglichkeit noch
kurz in unseren Zusammenhang eingeordnet und bewertet werden.
Heroismus III (1934)
Seit dem Sühnelager Ostern 1931 prägte die Übernahme
militärischer Disziplin das Selbstverständnis der neuen bündischen
Zusammenschlüsse. Die Deutsche Jungentrucht geht unter teut einen eigenen Weg,
der militärisch und patriotisch in einem ist. Im Dezember 1933 erscheint in GW
II, 3 ein Bericht aus Müllers Feder über die im Sommer mit zwölf Teilnehmern
nach Mazedonien durchgeführte „balkanfahrt“ (ebda., S. 8-15):
„deutsches land erwandern wir in unermüdlichen streifzügen,
in alle breiten, höhen und ebenen, das land unserer väter, unseres lebens und
unserer berufung. und doch ergreift es uns mit einem mächtigen stolz, wenn wir
die deutsche fahne der jugend über die grenzen tragen dürfen, wenn wir die
abenteuer fremder erde bestehen, um desto sehnsüchtiger deutsches land wieder
betreten zu dürfen, wenn wir im fremden land zeigen, welcher mut und tatendrang
in den fahnen deutscher jungen sich bauschen“.
Nach dieser propagandistischen Absicherung (von Saarländern!)
folgen wir der Gruppe, die offenbar wie nicht ganz zehn Jahre später (mit
derselben Altersgruppe!) kompanieartig durch die Landschaft marschiert,
Marschlieder singt und an die Grenzstation nach Serbien gelangt. „ich [teut]
kommandierte, unauffällig und verhalten. die marschkolonne der zwölf kameraden
schwenkte ein. halt! front! affen ab! nach drei sekunden lagen diese säuberlich
gereiht unter einer der kastanien. antreten!“ (S. 10).
Als dort eine kärtnerin den truchtischen jungentanz ums
lagerfeuer begeistert ansieht, bittet sie „leise um das deutschlandlied. ich
trat vor. wie ein blitz schossen die jungen in eine eiserne reihe. alles wurde
todesruhig. da sangen wir das deutschlandlied mit unserem ganzen ernst. wir
sangen auch das serbische kampflied: marschiralla. dann aber sagte ich, zu den
soldaten gewandt: „kennt ihr auch das kampflied, das jetzt durch alle deutschen
gaue schallt? das lied der sa, das lied der kämpfer für hitler und das neue
deutschland?“ die kärntnerin schluchzte. Da flogen die arme aller buben hoch,
und in die albanischen berge stieg unser lied. dreifach erscholl das
„sieg-heil“. „tretet weg!“ und alles stob ins zelt.“ (S. 11 f.)
Selbst wenn diese Manifestationen wohl vorwiegend die
Soldaten beeindrucken sollten, sind bekenntnishafte Anpassung und
Militarisierung die neue Basis für fahrtenhafte lokale Klosterbesichtigungen
und Naturerfahrung. Man könnte aus dem Zeitgeist heraus das Bedürfnis, eine
neue Haltung zu zelebrieren, verstehen, wenn nicht dieser Drill die Anordnung eines doppelt so alten, sich selbst
darin erzieherisch realisierenden Hortenführers wäre, der noch im Darstellen
die ideologische Verknüpfung militärischer Zucht mit einer Kampfsituation intuitiv
dramatisiert: „wie ein blitz“, „schossen“, „todesruhig“. Die neu beschworene
Fahne der Jugend fällt als Leichentuch auf sie herab, weil die Anführer es befehlen
und zu Gehorsam bis in den Tod verführen.
Wir sind im Dezember 1933 jenseits des „Waffenstillstandes“,
der in der Bücherliste (ebda., S. 31) von Karl Daniel so angezeigt wird: „ein
heldisches spiel. geschildert wird das schicksal eines heldenhaften volkes, das
dem untergang nahe ist, aber lieber kämpfend sterben will, als besiegt leben.
das ist der geist, der in unserem volke einzug halten muß. es ist derselbe
heldische geist, von dem adolf hitler in nürnberg in seiner großen rede sprach.
dieses spiel sollte jede gruppe im winter aufführen, und so für die verbreitung
dieser gesinnung sorgen.“(ebda.) Natürlich fehlt eine Anzeige der Heldenfibel
tusks, dafür sind pro domino Dr. Karl Müllers „die rhythmischen masze“ abschließend
gewürdigt: „ein sprach- und gestaltphilosophisches buch, das ganz neue wege
zeigt. dichtung, tanz und musik geboren aus dem rhythmus. verfasser sagt: „eine
alte welt, die abendländische, der gestalten geht heute zu ende, eine neue
welt, die rhythmusgestaltige, kommt herauf“ (ebda.).
Die wesentlichen Standortbestimmungen formuliert teut in
Vor- oder Nachworten. Weihnachten 1933 schreibt er einleitend zu „Lieder der
Trucht“:
„So gilt in erster Reihe das Heft uns selber, und zwar als
Stufe zu vollendeterem Weg. Die Stufe dieses Werkes fällt zusammen mit der
Zeit, da die Trucht im Erlebnisraum der bündischen Jugend stand. Dieser Erlebnisraum
ist abgesunken. Wir schreiten in ein neues Land. So möchten wir in diesem Heft
abschließen mit jener Welt, die als Stufe uns immer erhalten bleiben wird“
(ebda., S. 5). Der Gestaltwandel ist eine unaufhaltsame Notwendigkeit.
Zwischen der Nummer drei (Dez. 1933) und vier (Juni 1934) des
Großen Wagen klaffen sechs Monate, die nicht nur durch den Wechsel in der
Schriftleitung zu erklären sind. Das Heft IV unter teuts Leitung beginnt
ehrgeizig völlig neu. Er setzt wie Ili an zu einem Sprung und sucht Halt in
einem Land in neuem Gesicht, mit neuen Gesichtern, neuen Themen und einem
konvergierenden Kulturprogramm. Auf die Kleinschrift wird jetzt verzichtet. Auch
die Adressaten wechseln: [..]
„Unterdessen hat die Trucht eine entscheidende Entwicklung
durchgemacht. Sie hat ihre Jungengruppen allmählich in die Hitlerjugend und ins
Jungvolk entlassen, da sie sich darüber klar ist, dass die neue Gestalt des
Jungenlebens nur dort sich entscheidet, und nicht in Gruppen, die abseits
stehen.
Auch eine Zeitschrift kann nur aus dem innersten Leben einer
Gemeinschaft hervorgehen. Darum erscheint es uns sinnlos, eine
Jungenzeitschrift herauszubringen, die nicht mehr getragen wird von einer
lebendigen Jungengemeinschaft. Der Große Wagen ist deshalb keine
Jungenzeitschrift mehr.“ (GW 4/1934, S. 32)
Für wen soll in Zukunft geschrieben werden und worüber, wenn
es keine Fahrten und Treffen mehr gibt? „Der Große Wagen ist eine Zeitschrift
der Folger und aller deutschen Jünglinge, die den künstlerischen Ideen der
Trucht zu folgen bereit sind. Sie will nicht in Wettbewerb zu HJ- oder
Jungvolkzeitschriften treten, so sehr es erwünscht wäre, wenn sie diesen
anregend helfen könnte“ (ebda.).
Die ganzseitigen Fotos von Knaben mit nackten Oberkörpern
stehen in Widerspruch zum Programm, das diese ja eigentlich nicht mehr
betrifft. Man muss das wohl als Überleitung eines Konzepts verstehen, das erst
in den nächsten Heften deutlicher wird und nicht zur Hälfte noch von teut allein
erzählerisch abgedeckt wird.
Überdies hatte Teut Ansolt alias Dr. Karl Müller zwischenzeitlich
ein Gedicht und drei größere Aufsätze für „Die Westmark“ verfasst (s.o.).
Für unsere Darstellung ist nach dem „Waffenstillstand“ diese
Nummer IV die Hauptquelle für das teutsche Heroismus-Konzept, denn es hat das
Grundthema „Heldische Freundschaft“ wie der einleitende Aufsatz des (anonymen,
aber eindeutigen) Herausgebers.
Progressiv sind drei Arten von Freundschaft zu unterscheiden.
Die erste im Bubenalter zu einem Spielkameraden, der ihm wohl gefällt und der
für ihn einsteht oder der in der gleichen Gruppe auf Abenteuerfahrt geht und
wie ein Bruder ist. Dazu ist jeder fähig, „der gesundes Blut in seinen Adern
hat“ (S. 3) und kein Waschlappen ist. Die zweite Art, wohl im Alter von 15
Jahren, erschließt sich nicht jedem, weil Werte und Dinge entdeckt werden „wie
Vaterland, wie Heimat, Krieg, Gott, Held, Frau“ (ebda.). Besonders die
Großartigkeit des Vaterlandes lässt tiefer danach fragen, was für Pflichten
daraus erwachsen. Hier kann man den Gleichgesinnten treffen und wissen, dass
„ihr vor andern niedriger Gesinnten, Blöderen, Verständnislosen von gleichem
Adel seid, von gleicher Größe der Seele“(S. 4). Diese Freundschaft ist die der
Ideale: „Lange war diese Freundschaft gezwungen, in Deutschland auf einem
kargen Boden zu wachsen. Aber heute, da leuchten hohe Ziele wieder vor unseren
Augen. Da sehen wir Männer, denen wir unsre gemeinsame Liebe zuwenden können,
denn nicht nur hohe Gedanken binden unsere Freundschaft, kräftiger noch,
begeisternder noch die Vorbilder heldischer Menschen. So berührt uns schon in
dieser Freundschaft der Hauch des Heldischen. Gleiche Liebe zu heldischen
Taten, die wir bewundern, zu heldischen Menschen, die wir verehren, schenkt
Freundschaft“ (ebda.).
Auf der dritten, nur wenigen möglichen Stufe erwächst „aus
Freundschaft selber Heldisches“. Die Gelegenheit dazu zeigt sich besonders in
großer Not und großer Aufgabe. „Das größte ist aber, wenn dein Freund oder du
ausersehen ist vom Schicksal, für das ganze Volk eine große Tat zu verrichten“
(S. 4/5). Der dazu Ausersehene hält „sein Leben zum Opfer bereit für die
Erreichung der Tat“ (S. 5). Der Freund gewinnt dadurch Größe, wenn er neidlos
dem Freunde den unsterblichen Ruhm lässt gewissermaßen als Dienender:
„berühmter ward Hagen als Gunther, dem er in truchtischer Freundschaft bis in
den Tod getreu war“ (S.5).
Hier ist nicht nur der theoretische Ansatz für das völkische
Heldentum in Müllers Erzählung „Sie fanden eine Heimat“, die jetzt die
Dimension eines „roman à thèses“ gewinnt, d.h. eine didaktische narrative
Umsetzung dieses Ideals, sondern auch für die historischen Beispiele in den
Texten des Heftes selber.
Zwei Gedichte folgen dem Programm, das erste „An welchem Tag
soll ich dir nahn“ (S.5) in eigentlich zu intimer erotisierender Steigerung des
vorher Ausgeführten, zurückweisend auf Teut Ansoldts „Kranz des Jünglings“ und
auf der nächsten Seite eine die brüderliche Freundschaft besiegelnde Strophe Stephan
Georges aus „Der Waffengefährte“. Dieses Anordnungs-Schema wiederholt sich nach
„Der verlorene Zug“, einer Episode der Freundschaft zweier Offiziere unter
Major Schill im Kampf gegen Napoleon. In einer dem Stil von Georges Handschrift
nachempfundenen Unziale wird das heroische Ideal poetisch am Bild der Fichte
beschworen.
Aus dem Kampf des Schweden Karl XII gegen die übermächtigen
Russen illustriert die „Geschichte einer
ritterlichen Freundschaft“ die Opferbereitschaft bis in den Tod. Danach reimt
und komponiert teut: „Kameraden, in wilden Pulverschwaden, steht fester denn je
unsre Schar! Deutschland ewig unsre Treue unser Schwur gilt aufs neue [..]“ (S.
21) gegenüber einem Foto einer jugendlichen Fahnenwache.
Der narrative Bogen wird weiter gespannt: nach einem
germanischen Freundschaftsszenariun folgt „Der Deutsche Ritterorden“ (Schluss:
„Das neue Reich der Deutschen, das sich uns gebiert, soll nicht die Zweiheit in
sich tragen: Weltliche und geistliche Macht. Das Dritte Reich der Deutschen
wird seinen geistigen Urgrund nicht an der gleichen Stelle finden wie das
Erste“, S. 26) sowie „Das Opfer der Hundertschaft“, ein thermopylenhafter Kampf
einer Inkagruppe gegen die Weißen. Abschließen tut dieses Lesebuch für
heldische Freundschaft die Erzählung „Notbrüder“ von J. M. Wallacher über
Hunger und Teilen, während aus einer Kiefer der gegenüberliegenden Fotoseite heraus
ein Junge mit nacktem, rachitischem Oberkörper fragend den Leser anblickt.
Indes, es ist bei weitem noch nicht alles zum Heroismus gesagt:
Das Heft V vom September 1934 hat das Oberthema „Jugend im Schicksal der
Völker“. Teuts Nachwort gibt eine sehr
viel deutlichere ideologische Gesamtorientierung:
„Was ich von diesem Heft erhoffe, ist, dass es jedem
erhellt, in welcher Schicksalspflicht von je die Jugend stand und heute mehr
denn je steht. In ihr gebiert die Welt sich neu, und zweimal hat sich die Welt
von Grund auf aus dem Deutschen neugeboren, damals als Armin zum erstenmal die
Deutschen als Weltmacht in die Geschichte führte [..] und heute zum zweitenmal,
da Deutschland gegen den greisen Westen eine junge trächtige Welt gebiert, da
es in Langemarck seine Jugend das Opfer auf sich nehmen ließ, wo die Alten
blind und verzichtend blieben, da es in der SA die Eroberung des Reiches zu
einer dritten Weltzeit der Deutschen vollzog“ (S. 32 mit Literatur über Armin,
Langemarck und die SA).
Nach zwei kämpferischen
Hölderlin-Strophen aus „Der Jüngling an die klugen Ratgeber“ (II und IV)
und Marées Graphik „Der Sieger“ knüpft teut in einer Art von heroischer Indoktrination
und Mobilmachung an das Ideal des Jünglings an, der zur geschichtlichen Tat
berufen werden kann (S. 3): „Wenn der Krieg als äußerste Tat das Volk zum Opfer
aufruft, wenn er offenbart, dass über allen Werten und Bindungen Wert und
Gemeinschaft des Volkes stehen, dann erweist sich, dass niemand ungehemmter dem
Kriege dienen kann als der Jüngling. Sein Blut ist so mächtig, dass es
rücksichtslos für das Höchste sich opfert, seine Kameradschaft, ungeschwächt,
unabgelenkt durch Familie und Beruf, so kräftig, dass er am schnellsten sich in
die Reihen der Opferbereitschaft ordnet. So sind Kriegerschaft des Volkes und
Jungmannschaft in den Zeiten des höchsten völkischen Lebens fast Begriffe, die
dasselbe bedeuten. Dient derart die junge Mannschaft dem von der älteren
Mannschaft geführten Staat durch ihr Blutopfer, durch ihr Soldatentum, so
brechen zuweilen Zeiten herauf, in denen sie selber das Schicksal bestimmt“ (S.
3).
Der Wandervogel und der erste Weltkrieg 1914 in Langemarck
sind Beispiele dieses Heldentums, das die Schwachen durch Verrat scheitern
ließen. Der dritte Sturm der „schon gereifteren“ Jugend erfolgte durch die
Gefolgschaft Hitlers (vgl. S. 4). „Hitler hat diesen Sinn deutschen Geschehens
so tief erblickt, dass er, der es unternahm, deutsche Ordnung aus deutschem
Wesen zu schaffen, den Urkräften der Jugend eine staatliche Ordnung gab, wie
sie kein anderes Volk besitzt. Deutsche Jugend wird von deutscher Jugend
geführt“ (S. 4/5). Der Nationalsozialismus sei ewig durch diese seine
Urentscheidung, die aber zeugerisch, d.h. lebendig wachsend ist für unabsehbare
Zeit.
So deutlich hat wohl kein Bündischer – und erst recht nicht
ein Widerständler - ohne Not seine
eigenen Ideale verpfändet, an die er -
Gestaltwandel hin, Gestaltwandel her - vielleicht doch nie geglaubt hat. Ex
auctoritate des Präsidenten der Reichsschrifttumskammer, des ehemaligen
Altwandervogels und völkischen Dichters Hans Friedrich Blunck, liest man daraufhin
die Bekräftigung dieser Doktrin, denn die „Jugendbewegung ist es, die sich
heute erfüllt“ (S. 6).
Methodisch folgen der Programmatik immer die passenden
affirmativen Exempla, diesmal in Ausschnitten aus dem Bücherkanon auf S.
32: Langemarck und seine „Todeshelden“
(J. F. Wehner), „Deutsche Jugend im
mittelalterlichen Italien“ (E. Kantorowicz) und aus dem „Waffenstillstand“
weiter gedichtet „Ili und die Stadt des südlichen Königs“ (sicherlich teut,
dessen Gedicht „aber uns kann nichts verzehren, /da wir selber flamme sind“ in
Frakturschrift ohne Großschreibung) eingeschoben ist. Armin (Moeller van den
Bruck) darf nicht fehlen. „Heiliger Frühling“
thematisiert die germanischen Semnonen, die ein Jüngling Thjof aus der Dekadenz
zu neuen Gebieten am Rhein anführt (Liedeinschub: „Künftiges Reich“), verraten
und verlassen von seinem Rivalen Ornit, den er im Zweikampf stellt und besiegt
(teut als Autor dieser Dublette seiner späteren Erzählung „Sie fanden eine
Heimat“?). Erheiternd die abschließende Gegenüberstellung einer Passage Jean
Pauls „Über Glück und Wert der Jünglinge“ mit einem Fotos dreier
Reichsarbeitsdienstmannen beim Schaufeln.
Der letzte Große Wagen der Reihe II, 6 vom November 1934 ist
der „Gefolgschaft“ gewidmet. Eine Hitlerbüste von Walter Neu und das anonyme
Gedicht „Dem Führer“
(„Der Führer verpflichtet zum Tod“) machen eindeutig klar,
wem denn zu folgen sei.[43] Das
Grundschema der Hefte wiederholt sich. Gedanklich kommt wenig zum
Heroismus-Begriff hinzu, es seien denn Abgrenzungen und die Suche nach
prägnanten Formeln des Bekenntnisses zum Nationalsozialismus. Der Blick richtet
sich auf die Treue in der Gefolgschaft bis in den Opfertod. Die Frage, ob der
Führer „die Folger“ verantwortungs- und zielbewusst anführt, stellt sich nicht,
denn der Weg ist schicksalhaft vorbestimmt und der Einzelne der Kategorie Volk
nachgeordnet. Teut hebt an: „Wir stehen am Beginn einer neuen Weltzeit, und von
Grund auf sucht sie eine neue Urgestaltung“ (S. 4). Wie immer holt er mit
seiner historischen Begründung weit aus, geht in der „gefolgschaftlichen Welt“
bis auf die Germanen zurück, denen und deren Ringen um Treue und Verrat wir ja
schon im vorigen Heft begegnet waren. „Es war eine deutsche Welt, die noch
heute unser ganzes ursprüngliches Blut erregt. Aber dieser Welt Blut versiegte
damals doch, sank zurück in ihre tiefen Quellräume“ (S. 5), um später bei
Hölderlin als Verheißung, bei Nietzsche als nie Erreichtes und bei George „das
gnadenhaft erstmalig Erlebte und Gedeutete zu werden“.
Dieses begrifflich eher mythologische Denken steigert sich, erfüllt sich in der Gegenwart
und bricht aus in Huldigung: „ In Hitler wird dieser Geist Sturm des ganzen Volkes
und erobert das Herz des Volkes und die Herrschaft im Reich“ (S. 5). Und es sei
typisch für die Deutschen, dass sie besonders vom Verrat der „Neidinge“ bedroht
seien. Nur die tiefste Bejahung des Notwendigen, göttlich Schicksalhaften
entfessele unerahnte Kräfte (S. 6). Das anschließende anonyme Gedicht „Künder
des Reiches“ setzt den größeren Führer parallel zum größeren Dichter, gefolgt
von einem George-Zitat, damit es nicht unklar bleibt, wer gemeint ist. Wiederum
dient sodann Ili (S. 7-9 „Der erste Folger“) in Anknüpfung an die Szene seiner
Verwundung im „Waffenstillstand“ als messianischer Illustrator von Führer- und
Gefolgschaft. Teut passt den schon einmal bearbeiten Stoff didaktisch in seinen argumentativen
Zusammenhang ein. Die kaukasische Wahlverwandtschaft wirkt fort. Auch der
poetische Dialog „Der Führer“/“Die Folger“ (S. 9) hat diese Funktion, bei der
die Folger ihre Treue bis in den Tod bekräftigen, ehe in Imitation einer
christlichen Litanei „Unser Führer“ (S. 10) angerufen wird. Ein Auszug aus
Georges Szene „der brand des tempels“ besiegelt unter dem Titel „Der Verräter“
poetisch die Themenreihe.[44]
Die eingestreuten Dichtungen haben keinen Eigenwert, sind
nur gekürzte Zitate, um Themen dank ihres großen Autorennamens Glaubwürdigkeit
zu verleihen. Doch auch hier kündigt sich ein fundamentaler Wandel an: Auch die
Dichtung entwickelt sich aus der Wurzeln des Volkes nach dem Weltkrieg
neu: “Sind wir es denn nicht, die das
Höchste vollenden, so bedenkt, dass nicht der einzelne dichtet, sondern das
Volk“. [45]
Zentraler in Bezug
auf die Thematik „Gefolgschaft“ sind die historischen Exempla: „Freikorpskampf“
(S. 10 f. „von einem Baltikumkämpfer“ der niemand anders ist als Müller),
„Gefolgschaft im Nibelungenlied“ (Hans Naumann, S. 13-16), „Zwei germanische
Gefolgschaftsführer“ (ders., S. 17), „Konradin“ (S. 20-24 nach Leopold von
Ranke – vom Herausgeber?), „Wallenstein“ (S. 25-27, anonym).[46] Martialische Kunstwerke von Zeitgenossen wie
Egger-Lienz mit roboterhaften „Helden
1915“ (S. 30) veranschaulichen besonders die Kampfszenen. „Bilder und Fotos aus
der bündischen Zeit können uns nicht mehr dienen“(S. 32).
Unser Durchgang durch die letzten Hefte des Großen Wagen
unter teut musste so detailliert sein, um zum einen zu zeigen, dass und wie er
maßgeblich diese Hefte gestaltet und mit eigenen wertenden Beiträgen zum
Heroismus-Thema versieht bzw. abrundet und um zum anderen die Stufen der Veränderung
dieser bündischen Zeitschrift vorzuführen, die mit der letzten obigen Nummer
überhaupt nichts Bündisches mehr enthält, sondern eine adaptierte
nationalsozialistische Jugendausgabe der „Westmark“ ist. Teut sieht seinen Kurs
bestätigt: „Der Anklang, den sie [die Entwicklung der Hefte] gefunden hat, auch
bei namhaften Schriftstellern, lässt uns vieles erhoffen“(S. 32).
Man kann bei dem Thema des letzte Hefte der neuen dritten
Reihe (1/1935), „Geheimnis der Natur“ folglich davon ausgehen, dass hier keine persönlichen
vogelkundlichen Beobachtungen auf Fahrt mehr im Mittelpunkt stehen, sondern,
und dass führt uns in den Zusammenhang der progressiven Überführung von Ansolts
Dichtungen ins Völkisch-Heimatliche, eine Neuorientierung im Bezug
Mensch-Natur. Doch auch hier soll zunächst der letzten Mitteilung der
Schriftleitung Raum gegeben werden:
„ Die zweite Folge hatte uns in den letzten drei Heften
gezeigt, auf welchen drei Grundpfeilern die Jungmannschaft unseres Volkes
beruhen muß, auf der heldischen Freundschaft, [..], auf dem Glauben, dass in
der Jugend des deutschen Volkes sich immer wieder das Schicksal unseres Volkes
entscheidet und erneuert, dass die Jugend deshalb von einer ungeheuren
Verantwortung am Volk und am Reich ihre Zucht empfängt, drittens dass die
Gemeinschaft der Jugend und ihre sittliche Verpflichtung auf die Gefolgschaft
zum Führer des Volkes gegründet ist.
Die dritte Folge wird sich den allgemeinen
Weltanschauungsfragen zuwenden.. Das unumstößliche Fundament aller dieser Bemühungen
wird die nationalsozialistische Weltanschauung sein“ (S. 32).
Neu enthüllt und vernebelt ideologisch teut das Geheimnis
der Natur in seinem programmatischen Vorwort folgendermaßen: „Natur, das ist
der reine Ursprung und zugleich die große Aufgabe, die selten und nur in einer
großen Zeit durch die edelste Zucht gelingt, das ist der geheime Sinn einer
jeden Kultur.
Natur, das ist nicht die zufällige Natürlichkeit, das aus
tausend Unzulänglichkeiten Geborene. Natur ist die höhere Rasse. Sie ist der
Wandel des Unwandelbarsten und das zum Sein berechtigte im flüchtigen Wechsel
der unzulänglichen Erscheinungen.
Treue zur Natur, das ist der Glaube an die ewig junge
Schöpfung Gottes. Natur ist Größe aus Geburt“ (S. 4/5).
In seinen folgenden Texten, in denen er als Meister durch
die Natur der Tierwelt und zu den magischen Quellen führt, liegt der Kern
seiner späteren Spruchdichtung „Waldsteine“ (1967). Sein Dialog – entnommen
„Der Folger“ 2, August 1932, S. 13-16 - zwischen Leif und Gorm (S. 17-21) thematisiert
die Sicht auf die neue Zeit der Umbrüche. „Gorm: Du weißt auch, wie ich
verehrend stehe vor dieser gegenwärtigen neuen Schöpfung des Lebens [..] Das
Verzerrte, Überreizte, Verkauzte, Lüsterne, Genüssliche lagert wie ein Schlamm
um uns und der, der seinen Fuß darauf setzt, sinkt ins Heillose“ (S. 19). Und
auch der Heldentod Siegfrieds fügt sich in den Kreislauf der Natur: „Gorm:
Darin erkenne ich das tiefere Geheimnis des unschuldigen Helden. Diesen einen
Tod vermag er nicht zu vermeiden, nein, er geht ihm entgegen als dem einzigen
lauteren Schicksal, das ihm gebührt. [..] Uns aber ist sein Tod nicht
vergeblich, sein Blut, das mit dem Wasser sich mischt, gießt die heilende Kraft
erneut in den Born, daß alle genesen, die davon trinken“ (S. 20). Hölderlin,
Nietzsche, George und Jean Paul stehen wiederum mit Texten Pate. Der Kollege
Rupert Rupp der „Westmark“-Mannschaft schließt mit seinem Fraktur-Gedicht „Das
neue Leben“ die letzte Seite der letzten Nummer dieser einst renommierten
Jugendzeitschrift, die Dr. Karl Müllers ideologischem Züchtungsversuch
anheimfiel, ab.
Georgica
Nach dem Gedicht „Grenzland“ eröffnet Teut Ansolt in dem
Kulturheft von „Die Westmark“ seine ab Herbst 1933 ständige Mitarbeit mit dem
Beitrag „Stefan George/Der Dichter und die Zeit“.[47] Hier
bedient er sich noch oder ausnahmsweise bei einem Essay des Pseudonyms,
wahrscheinlich um seine poetische Gefolgschaft zu signalisieren. Das
George-Bild wird neu gerahmt: jener sei - auch im kleinen Kreis - der „tiefste
Erreger der ersten umfassenden Wandlung unseres Volkes“ „an schicksalhaftem Ort
und in schicksalhafter Zeit“ (S. 65). Sein Verdienst sei es, dass Deutschland
nicht mehr aus der fremden, abendländischen Mitte empfange, „sondern männlich
aus dem eigenen Blut und eigenen Geist Gestalt ward“ (ebda.).
Das ist nachgerade falsch: kein deutscher Dichter der Epoche
verdankt den europäischen Größen, die er alle übersetze, so viel wie George den
Baudelaire, Dante, Shakespeare,
den französischen Symbolisten und anderen europäischen
Zeitgenossen. Jedoch blendet Müller diesen George aus, setzt ihn in
Zusammenhang mit dem Aufbruch der deutschen Jugendbewegung und deren Werte, indem
er so die heikle Problematik der Knabenverehrung Maximins umgeht. Vor allem
stellt er Stefan George als Vertreter der Mitte Deutschland, „ja vielleicht [als]
Westmärker“ (S. 66) vor, damit Deutschland gegenüber dem Osten und dem Westen die
Mitte Europas behaupte. George stirbt allerdings am 4. Dezember 1933 in Minusio
in der Schweiz, wo er ohne Vertreter des Reiches von seinen Freunden bestattet
wurde. „Er sah als seinen wahren Folger den Mann der staatlichen Tat und
wusste, das dieser nicht aus dem Kreis der derzeit Herrschenden käme, sondern
aus der Schicht der instinktsicheren, blutvollen, alles wagenden Schicht des
namenlosen Volkes“ (S.67) Er schuf aus dem Chaos das „Neue, das dritte
Reich“(ebda.). „Hundertfach ließe sich aus den Sätzen der beiden die
Verwandtschaft bezeugen“ (S. 68).
Das ist gewollte Aus- und Verblendung, ausgehend von der
platten Auffassung von Georges „Das neue Reich“ vom Oktober 1928 als Verkünder
des dritten Reiches.[48] Ebenso
platt wäre es, den Attentäter von 1944 und persönlichen Erben Georges, den
(adligen) „Neiding“ Claus Schenk von Stauffenberg, als Vollzieher einer
Familien- und Klassenfehde zu charakterisieren.
In seinem Aufsatz vom Frühjahr 1934, „Das Gesicht der Erde.
Der deutsche Sinn der Landschaft“ kommt Teut Ansolt jetzt als Dr. Karl Müller
auf Stefan George zurück.[49]
Müller verabschiedet sich von der Landschaft als Feld der Sinnlichkeit,
Beschaulichkeit und subjektiven Spiegelung (vgl. S. 231). „Es gibt nicht mehr
die Landschaft jeder einzelnen Seele. Landschaft, das ist heute unser
Schicksalsraum, unser Tatenfeld, unsere Vergangeheit, Gegenwart und Zukunft
über alles Einzelschicksal hinaus“ (S. 231/232). Und weiter, man ahnt es
bereits: Landschaft als Rune göttlichen und völkischen Schicksals, Landschaft
als Mythos der Zeit, das ist deutsch“ (S. 233). Georges frühes Werk „Das Jahr
der Seele“ habe sich von der Einzelseele in das Jahr der deutschen Seele, zum
Rade verwandelt (Vgl. S. 234).
Und Müllers Doktorvater und George-Schüler, Ernst Bertram,
sei der Dichter der „Nornenweisheit“ geworden (ebda.). Die Wiedergewinnung der
„Scholle“ enthüllt das „mütterlich Gebärende“: „Die erste Tat Hitlers war eine
Doppeltat. Er schenkte dem Männlichen wieder sein eigenstes Gesetz, das
Heldische. Er schenkte dem Mütterlichen seinen Urboden, die freie Scholle und
das reine Blut“ (S. 235).
Ulrich Raulff zeigt in seiner Studie „Kreis ohne Meister.
Stefan Georges Nachleben (München 2009), wie ab 1934 die nationalsozialistische
Kritik sich gegen Stefan George formiert mit drei Schwerpunkten: das undurchsichtig
Elitäre des „geheimen Deutschland“, die Homoerotik und die Vorherrschaft von
Juden in Georges „Reich“.[50] Müller
gerät erst Anfang der Kriegsjahre noch einmal persönlich in diesen Zusammenhang
in eine retrospektive Kritik durch Max Nitzsche (s.u.). Seine ganze obige
Vereinnahmung der George-Tradition bis ins 19. Jahrhundert zurück muss man als
Rettungsversuch sehen – weniger für George als für sich selber - dessen Verrenkungen und Grenzen ihm eigentlich
früh klar gewesen sein müssten. Auffällig ist, dass Müllers Name kurz nach dem
Tod des Meisters bei der George-Morgenfeier im Saarbrücker Stadttheater im
Januar 1934 nicht auftaucht.[51]
Schein-heldische
Tarnkappe
Das Ziel unserer bisherigen Ausführungen war es, anhand der
Quellen die Entwicklung der Jahre 1932 bis 1935 mit tusk und teuts Ausformungen
des Heldenideals im Mittelpunkt zu illustrieren. Dabei haben wir gesehen, wie
die Texte wirklich aussahen, von denen teut eingangs gesagt hatte, dass darin
nichts sei, was man ihm politisch vorwerfen könne (s.o). Zu ergänzen wären teuts
Tagbücher und seine Korrespondenz. Das Wesentliche wurde jedoch präsentiert, weitere
Quellen erscheinen uns redundant. Das gilt auch für die nachbündische Periode ab
1936. Die Parteikarriere als Kulturwart impliziert die des Schriftstellers der
Westmark. Müller bekennt sich 1968 nur zu einer historischen Novelle, „Der
Bibelschreiber“ (Berlin 1943). Sie handelt von der kulturellen Überlegenheit
eines deutschen Bibeldruckers im druckunkundigen Paris. Vergleicht man diesen Ansatz
mit zeitgenössischen Texten über die Kultur des besetzten Frankreich von Gerhard
Nebel oder Ernst Jünger, dann fragt man sich, ob dieser altfränkische Aufguss das
Papier wert war, das Rokka ihm dafür besorgt hatte.
Müllers Werke waren 1935 beschlagnahmt und der Große Wagen zuvor
verboten worden. Das konnte eigentlich nicht überraschen, auch wenn die
Anpassungsbemühungen dem vor zu beugen schienen. Müller konnte Ballast abwerfen,
von dem er sich gestaltpsychologisch und ideologisch losgesagt hatte. Die
Häutung war abgeschlossen, und die Frage nach einer persönlichen Schuld stellte
sich bei äußerem Einwirken nicht. Diese Ambivalenz war nach dem Krieg hilfreich,
weil man den eigenen Beitrag verschwiegen und sich selber zum Opfer machen
konnte. Auch Müllers Darstellung der Bewerbung um eine Dozentur an der
Universität Heidelberg, die vom Amt Rosenberg verhindert worden sein soll, ist
von dieser Ambivalenz.[52] Es
ging nicht um eine Professur für Philosophie an der Universität selber, sondern
um eine Stellung an einer Lehrerbildungsstätte, für die seine magere
Dissertation und die abseitigen „Rhythmischen Masze“ wohl stärker ins Gewicht fielen
als seine parteipolitischen Essays in der Westmark. Sein Saarbrücker
Trucht-Freund Karl Heinz Bolay (Rokka) schreibt in seinem Nachruf: „Teut schlug
eine Dozentur für Philosophie in Heidelberg aus“.[53]
Nach der Gleichschaltung der Jugendbünde in der Saar ab
Januar 1935 geriet jeder weitere Kontakt mit ehemaligen Truchtlern als
„bündische Umtriebe“ ins Visier der Gestapo. Dennoch gingen viele alte Freundschaften
und sogar Treffen weiter, die sich plötzlich zu Straftaten umwerteten und vor
den Überwachern verheimlicht werden mussten. Aber welches Gewicht ist einer
Überwachung zuzusprechen, wenn man sich parteipolitisch schon bewährt hat wie Dr.
Karl Müller? Ist nicht die Hausdurchsuchung während seiner Hochzeitsreise eine rücksichtsvolle
Geste im Gegensatz zur kurzen Verhaftung des eben zwanzigjährigen Rokka?
Dr. Karl Müller geht keine großen Risiken ein. Im Gegenteil,
im Jahr 1940 arbeitet er als Studienrat in Coburg, der Hochburg des
Nationalsozialismus. Hat man den erfolgreichen Schulungsleiter an die kurz
zuvor neu eingerichtete 1. Reichsschule der NS-Frauenschaft auf Schloss
Hohenfels berufen? In irgendeiner Weise muss er auch dort überzeugt haben, denn
1941 betraut man ihn mit dem Aufbau eines deutschen Gymnasiums im annektierten
Metz.[54]
Beide Tätigkeiten mochte er im Nachhinein nicht wahr haben:
in seinem Entwurf eines Lebenslaufs parallel zur Geschichte der Trucht von 1971
unterschlägt er diese beiden Jahre, denn er setzt den Beginn seines
Militärdienstes auf den Januar 1940. Er trifft Bolay aber erst im Januar 1942 in
Potsdam, macht eine Marine-Ausbildung in Kiel und wird als 1944 preisgekrönter
Kriegsberichterstatter nach Fahrten in der Ostsee, im Schwarzen Meer und vor
allem in der Ägäis am 18.10.1944 auf Santorin von den Engländern gefangen
genommen. Seine Log-Bücher über diesen Einsatz im Mittelmeer, die er vor Ort
einem griechischen Geistlichen samt seiner Leica anvertraut hatte, arbeitet er
nach seiner Rückkehr aus der Gefangenschaft editorisch auf.
Wir haben fest zu halten, dass Karl Christian Müller unter
verschieden nominellen Masken und anonym zunächst die Führung der Trucht, deren
Gleichschaltung und die weltanschauliche Integration als Schriftsteller emsig
ausfüllte und vorantrieb. Dabei wusste er auch, wohin der aufnehmende
Nationalsozialismus führte, dessen Jugendlichen er auf einen heroischen
Opfertod einschwor und dessen Rassenpolitik er in ihren Auswirkungen
kannte. Sein befreundeter Rezensent der
„Rhythmischen Masze“, der Bonner Kunsthistoriker Heinrich Lützeler, schrieb am
1.3.1947 an Käte Müller, die seit der Ausbombung des Müllerschen Hauses in
Saarbrücken mit der Tochter Doris am Ort ihrer Arbeitsstätte während der
letzten Kriegsjahre, in Obermarchtal an der Donau, geblieben war: Er stünde
noch unter dem Schock, als sie ihm gestanden hatte, „bei welch einer wahrhaft
verruchten Behörde sie arbeitete. Welch eine Verirrung der Geister und Herzen“.[55] Das
lässt nichts Gutes ahnen. Die Euthanasie-Tötungsanstalt Grafeneck war nicht
weit, wurde aber schon 1940 verlagert. Käte wird ihren Mann bei seinen Besuchen
wohl über den dunklen Hintergrund informiert haben.
War nun Karl Müller eher selber nach 1935gefährdet als dass er
jemanden durch ideologische Indoktrination gefährdete? Die Antwort ist der
späteren Tarnung zu entnehmen. Für ihn war es bis in seine letzten Jahre
wichtig, das Bild eines positiven Integrators vom Eiswooglager 1932 dauerhaft zu
vermitteln, verfolgt vom Schatten seines Neidings tusk. Seine Verstrickung
verdrängt er sein Leben lang durch die Klage über nicht endende Nachstellungen
und Isolierung.[56]
Werner Helwig gibt in einem fiktiven Dialog in „Die Blaue Blume
des Wandervogels“ teut ausführlich das Wort, um die Geschichte der Trucht
gerade auch in der Abgrenzung zu tusk dar zu stellen.[57] Die
Grundannahme teuts, die abendländische Kultur unterliege einem ontologisch
begründeten Gestaltwandel und gehe zu Ende, erfuhrt durch die Anknüpfung an die
großen Dichter in der Jugendbewegung ein Gegengewicht, so dass „das Leben im
Geist vor der Politisierung, Technisierung und Verflachung nicht zu erschrecken
brauche (S. 372), wird 1960 als
offizielle Sichtweise rekapituliert. Und man vernimmt staunend: „Man kann sich
heute kaum noch eine Vorstellung davon machen, in welchen seelischen Zwiespalt
unsere Menschen gerieten, denen praktische Politik bis dahin ferngelegen hatte.
Einzelne Ideen des Nationalsozialismus kamen ihnen scheinbar entgegen, während
ihnen andere zuwiderliefen“ (S.376) – und während teut ihnen hinterherlief,
muss man wohl nach unseren Einsichten ergänzen. „Nach und nach wurde das ganze
Kulturgut der bündischen Jugend ausgerottet, das sich noch gehalten hatte“
(S.377) – mit aktiver Beteiligung der bündischen Führer selber.
Halten wir noch einmal den Originalton Karl Christian
Müllers dagegen; Im Mai 1941 publiziert er in der Anthologie „Der Richtstrauss“
(s.o) einen Essay „Wir bauen am Reich“. In großem Bogen lässt er das erste
Reich, das römische deutscher Nation, Revue passieren bis zu dessen Untergang.
„Erben waren die einstigen Vasallen! Die, die ohne die deutsche Kraft nie eine
Macht geworden wären“ (S.164). „Deutschland begriff, dass eine große, umfassende,
ordnende Einheit nur auf der Einheit eines Glaubens und einer Weltanschauung
beruhen kann“ (ebda.). Dabei bereiteten Dichter und Denker dies vor, namentlich
Hölderlin („O Morgenrot der Deutschen, o Schlacht, du kommst“, S. 165
akkumuliert aus Einzelzeilen). „Der Gedanke der Dichter und Denker ist heute im
Führer zur Tat reif geworden. Den verborgenen Kampf haben wir gewonnen.“
(ebda.). „Der geistigen Macht des nationalsozialistischen Deutschlands ist
keine andere gewachsen. Es gehört zum Großartigen dieser Weltanschauung, zu
ihrer wirklichen Weltgültigkeit, dass sie den
R e i c h s g e d a n k e n zu
tragen vermag.“ (ebda.).
Es folgen Ausführungen über Arbeit als Beruf oder Verruf, letzterer mit Ausfällen gegen
die Juden, Karl Marx, die Sozialdemokratie und den internationalen
Kapitalismus. Das Reich sei die „Werkhalle der schöpferischen Arbeit“ (S.168),
ausdrücklich unter Einbeziehung der geistigen Arbeiter. Sogar die verödeten
Landschaften eines neuen Lebensraums würden besser gestaltet denn je unter den
Zielsetzungen des Führers (vgl. S. 168 f.).
Und neunzehn Jahre später in Werner Helwigs Blauer Blume:
„Noch 1942, mitten im Krieg, erschien ein Buch von Max
Nitzsche: „Bund und Staat. Wesen und Formen der bündischen Ideologie“.[58]
„Diese Schrift ist meines Wissens die zusammenfassende Abrechnung des
Nationalsozialismus mit den Bündischen. Vieles in dem Buch ist absichtlich
missverstanden. Aber es ist doch bezeichnend, dass der Nationalsozialismus es
für nötig hielt, sich mit den Bündischen auseinanderzusetzen und sie
lahmzulegen“ (S. 377/378).
Worum geht es in dieser Schrift und welche Kritik wird an
der Trucht und teut geübt?
Max Nitzsche nimmt das Ergebnis seiner durchaus
kenntnisreichen Untersuchungen vorweg: die Ideenkreise und praktischen
Erscheinungsformen des Georgeskreises, der Neuen Nationalisten (vor allem am
Beispiel Ernst Jüngers) und die freien Jugendbünde hätten als gemeinsames Kennzeichen einen
„zwischenzeitlichen Charakter“ ( S. 1). Er stellt 1942 im Blick auf den Beginn
der dreißiger Jahre fest, dass diese drei Gruppierungen „weder ihren geistigen
Ansatzpunkt an den Kräften geschichtlicher Wirklichkeit, den Grundformen
unserer völkischen Daseinsordnung [hätten], noch wirken sie gestaltend auf
diese Wirklichkeiten zurück“ (ebda.). Alle drei seien eine besondere Ausformung
des Männerbund-Gedankens mit der irrigen Annahme, dass das männliche Prinzip gegenüber
dem organischen Bereich des Volkes eigenschöpferische Kräfte entfessele, die
sie künstlich isoliere und die „erotischen Gefühlrichtungen auf das eigene
Geschlecht abbiegt“ (S.2).
Das sind keine neuen Vorwürfe, ja nicht einmal solche, denn
zwischenzeitlich hätten sich diese Ansätze überlebt. Nitzsche zeigt noch einmal
unter Bezugnahme auf die Arbeiten der nationalsozialistischen Germanistik die
Irrtümer von Georges „charismatischem Herrschertum“ auf und die „eigentümliche
Sterilität“ des poetischen mann-männlichen Erotismus anhand von Epigonengedichten
an Knaben (S. 18 ff.) und der „Gott-Erzeugung“ Maximins. Interessant ist, dass
er nicht wie einst Müller in dieser Jünglingsgestalt einen kulturellen
Neuanfang sieht, sondern eine Kunstgestalt fern von Zeit und Wirkung, die nur
für sich selbst am Ende einer
Entwicklung lebt, vergleichbar dem wundersamen, sterbenden Vogel in Georges Hirtengedicht
„Der Herr der Insel“ (vgl. S. 22 f.). Dass diesen introvertierten
seelischen und kultischen Triebkräften
dynamische nationalsozialistische Mutterschönheit und Manneskraft entgegen
gesetzt werden, ergibt sich aus Nitzsches Ansatz, den er in erstaunlicher Kürze
memoriert (vgl. S. 24), wenn er Georges Ablehnung des Rassenprinzips von den
jüdischen Mitgliedern des Kreises motiviert sieht (vgl. S. 24 und 26 f.).
Dem hier nicht relevanten Kapitel über den neuen
anarchisch-chaotisch-metaphysisch-utopischen Nationalismus folgt die
Darstellungen der Positionen der d.j.1.11, der Deutschen Jungentrucht, der
Nerother und des Grauen Korps (S. 47 ff.). Das erste Merkmal dieser Bünde ist
die „völkische Entfremdung“, d.h. das Herausreißen der Jungen aus den
Zusammenhängen des natürlichen und umgebenden Lebens (vgl. S. 48). Er widmet
sich in dieser Kritik der Ordenslehre der „politisch labilen“ Führergestalt
Eberhard Köbels (mit Zitaten aus der Heldenfibel, S.49) und dessen Idee eines
„losgelösten Jungenstaates“ (S. 50). Nitzsche hat auch die Kiefer gelesen und
moniert die östlichen Methode des Heroismus und, was aus der Feder eines
Nationalsozialisten im Krieg verblüfft, die „pervertierte Todesromantik dieses
Ideals (S. 51). Kennzeichnend seien dafür die Lieder, wobei er ausgerechnet
teuts „Von der Dämmerblumenwiese“ aus den Liedern der Trucht von 1933 zitiert. Aber
Karl Müller hat sicherlich, wenn er die kleine Studie überhaupt schon 1942 zu
Gesicht bekam, hierin nicht den Vorwurf einer Fehlleistung gefürchtet, wohl
eher in dem Kapitel über die Erscheinungsformen jugendlicher Homoerotik, wo
seine bewusst anonymisierte Erzählung aus der erstmals von ihm redigierten
Heldennummer des Großen Wagen 4, 1934, „Der
verlorene Zug“, einen dem Anführer „verfallenen“ Jungen zeigt oder in
„Entscheidung“ die Liebe Arnos zu Helgo
„das gesunde Empfinden des Jungen in krankhafte Bahnen“ lenkt (S. 56).
Auch die Knabenfotos seien im Ton „sinnlichen Abtastens“ gehalten (ebda.).
Dieser Freundschaftsbegriff biege die seelischen natürlichen Richtungskämpfe um
im Gegensatz zum Begriff Kameradschaft (vgl. S. 57). Der eigentliche Abschnitt
über die Trucht umfasst nur die Seite 58
und thematisiert nicht zu Unrecht die aus dem Begriff abgeleitete
„nur-persönliche Bindung der Folger an den Führer“. Dieser Bund, so wird teut
von 1932 zitiert, ist „Kampf und Bewährung des herrscherlichen und heldischen
Menschen, ohne jede Bindung an einen Zweck“. Dass er sich später überzeugt dem
Volksganzen zuwandte, kann ihn eigentlich nur gefeit haben. Eine akute damalige
Gefahr aus diesen „Angriffen“ abzuleiten, ist u.E. abwegig, ja Nachkriegstaktik
der Verschleierung. Nitzsche bekräftigt noch einmal zusammenfassend die
„historische Erscheinung“ des Abgehandelten (S. 60). An die Stelle des Begriffes
der „Führung“ der Bünde sei der der „Herrschaft“ des Reiches getreten (S. 65).
Das hatte auch Karl Christian Müller schon zu Ende gedacht, als er 1941 seinen obigen
Grundsatz-Beitrag zur Anthologie „Der Richtstrauss“ „Wir bauen am Reich“
nannte.
Die NS-Tarnkappe, die im 3. Reich den Bündischen unsichtbar
machen sollte durch Funktionsübernahme und NS-Schrifttum, konnte nach der
ägyptischen Katabasis der Kriegsgefangenschaft nur kurz gelüftet werden und
diente dann zusammen mit dem Schutzschild der Verfolgung namentlich durch
Nitzsche der Unsichtbarmachung des Ideologen des Vergangenen. Heroismus mit
Hintertür.
Die Waage der Ambivalenz
Semper aliquid haeret – immer bleibt etwas hängen, besonders
dann, wenn es einem nicht von dritter Seite nachgesagt wird und fortwirkt,
sondern weil man es selber produziert und dann vertuscht hat. Fassen wir
zusammen mit einem Ausblick auf das letzte Lebensdrittel Müllers, die Jahre des
Wiederaufbaus nach 1950, in denen er als Dichter an der neuen Oberwelt
zahlreiche Werke vorlegte und die Trucht noch zweimal neu gründete.
Hatte er vor dem Krieg willentlich durch seine NS-Karriere
und Schriftstellerei ungewollte Verdächtigungen aus bündischer Vergangenheit
erfolgreich aufgewogen, so war dies nach 1950 umgekehrt. Er hatte beruflich
wieder Fuß gefasst und verstand sich als Dichter mit bündischer Reputation (von
1932) in der saarländischen Autorenszene, war aber bedroht durch seine
NS-Vergangenheit, die wenigen Schriftstellerkollegen der Westmark-Zeit bekannt
war. Auf beiden Schauplätzen blendete er Verfängliches aus, interpretiere
Verhaltensweisen um, und dies desto intensiver, je schädigender es aussah.
Damit stand er in der Adenauer-Ära nicht allein, in der die Wahrheiten
verdrängt und scheibchenweise spät ans Licht kamen. Brach das Alte ungewollt
durch, konnte er sich der Maske der Verfolgung bedienen, um nicht zu
Schuldbekenntnissen gezwungen zu sein. Der Neubeginn ist von der Verantwortung
für das Alte, das andere und das das Schicksal scheitern ließen, abgelöst und
zelebriert wie in den neuen Heften des Großen Wagen höchstens Trauer um die
Gefallenen. Bald schon überlagert der Neubeginn das Alte so, dass es verdeckt
und versteckt wird. Die Druse der Esoterik schließt sich wieder.
Die tragende Säule dieses Systems ist eine konservative
Grundposition.
Die Weltordnung unterliegt einer neuen Präge, obwohl
Hölderlin und weniger George immer noch Bezugsgrößen bleiben. Die Kritik trifft
jetzt die Zeitströmungen: „Die heute herrschende und mit dem Strukturalismus
verbundene Weltanschauung kümmert sich kaum noch um die Wandlungen der
Gestaltenwelt, um die Kulte und Kulturen, aus denen die großen Stile
hervorgegangen sind. Die Wandlung aus Ursprüngen verlieren für sie jede
Bedeutung“.[59]
„Werdende Kulturen, neue Ursprünge bedürfen zur Selbstfindung
eines weiten Trümmerfeldes, in dem sie wählen dürfen. Sie ergreifen väterliches
Gut der Vergangenheit, wie auch des Fremden, das sich in ihren Händen bald
verwandelt. Kaum werden sie sich dessen bewusst, wie sie unversehens auf neuen
eigenen Wegen gehen, auf Schicksalswegen, die zum Ursprung eines neuen
Insgemeinen und zu dessen Kulturgemeinschaft führen“ (ebda.).
Ein neues Gesicht mit erweitertem Gesichtskreis? Wurde aus
der Katastrophe gelernt oder wurde sie nur relativiert?
Karl Christian Müllers dichterisches Vermächtnis mit der
Triologie „Die Sandrose“ (1966), einem unveröffentlichten Argonauten-Teil und
„Meerhornruf“ (1974) geben in biographischen Versatzstücken, Naturerfahrungen
und Mythos eine umfassende Antwort, die erst einmal anzuhören ist, bevor sich
das abschließend beantworten lässt.
Dieser Essay entstand im Frühjahr 2011 nach längeren
Recherchen im Literaturarchiv Saar-Lor-Lux-Elsass und hält meine Ergebnisse
fest, ehe Torsten Mergen 2012 mit seiner Dissertation „Ein Kampf für das Recht
der Musen“. Leben und Werk von Karl Christian Müller alias Teut Ansolt
(1900-1975) ein umfassendes Bild dieses Autors erstellte, das in unserem Blog
Aspekte der Übergangsphase ausführlicher darstellt.
[2] Vgl. Briefwechsel
Müller/Helwig im Literaturarchiv Saar-Lor-Lux-Elsass, Mappe 92: Helwig an
Müller 4.5.1966 und 17.11.1967.
[3] Vgl. Teut Ansolt: Die
beiden Diebe. Plauen 1932, das im Typoskript vorliegt, als
Prosa-„Schelmenspiel“ ausgewiesen mit einer dreiteiligen Simultanbühne
sowie ders.: Bauer, Dieb, dann Herrscher. Plauen 1933.
[4] Vgl. Arno Klönne: Jugend
im Dritten Reich. Die Hitler-Jugend und ihre Gegner. DTV 1982, bes. S. 105 ff.
[5] Vgl. M. Luserke: Jugend
und Laienbühne. Bremen 1927, S. 58: „ Jedenfalls scheint uns der
Gemeinschaftswille keine ausschließliche Eigenschaft des Bühnenspiels im
jugendlichen Lebensalter zu sein, wohl aber die trotzig-parodistische
Lebenslust, das Narren- und Tänzertum der Mimik, die gewalttätige Verliebtheit
in jeden Tiefsinn und die ruckweise Versonnenheit“. S. auch E. Koebel:
Zeitschriftenaufsätze Band 3, Edermünde 2004, S. 300, wo er über eine für
Jungengruppen gut zum Spielen geeignetes Luserke-Stück im Juni 31
berichtet.
[6] Vgl. Der Große Wagen [=GW]
II, 5, Sept. 1934, S. 10-12:“Ili und die Stadt des südlichen Königs“ sowie GW
II, 6 ff.:“Der erste Folger“.
[7] Teut berichtet in der
d.j.1.11.„Rakete“ 103/104 vom 18.12.1931, vgl. Koebel, Band 3, S.
272:“wohlgelungener werbeabend in saarbrücken, 40 buben in blauer kluft. „am
lagerfeuer“ unsere kosaken- und d.j.1.11-lieder, tänze, sprechchöre,
indianerkünste und dann die „die beiden diebe“, unser neues lied: der morgen
dämmert, krieg ist entfacht. die trommel gehämmert, gefangene eingebracht.“
Vgl. Lieder der Trucht, S. 24 f. – Wolfgang Paul beginnt „Das Feldlager. Jugend
zwischen Langemarck und Stalingrad“. Esslingen 1978, S. 1 f.: „Für einen Morgen, den des ersten September
1939, war das Kriegslied erdacht, das der Gefreite Koch jetzt nicht aus dem
Kopf brachte:“ Der Morgen dämmert, /Krieg ist entfacht [..] Wer bleibt
Sieger?/Stumm ist der Mut,/bereit der Krieger,/er trägt den Eisenhut,/Länder,
die verderben,/grüßt ein Morgenschein./Ohne Opfer sterben,/kann nicht Sonne
sein.“
[8] Vgl. „Die Weltbühne“ 26,
1930, Nr. 45, Zitat von S. 684.
[9] Bei Erich Kästner und
Heinrich Mann hieß es:“ Gegen Dekadenz und moralischen Verfall! Für Zucht und
Sitte in Familie und Staat“, bei Remarque, dem Autor von „Im Westen nichts
Neues“, „gegen literarischen Verrat am Soldaten des Weltkriegs, für Erziehung
im Geist der Wehrhaftigkeit!“ Vgl. R. Geißler: Dekadenz und Heroismus.
Zeitroman und völkisch-nationalsozialistische Literaturkritik. Stuttgart 1984,
S. 23.
[10] Rakete 42 vom 16.4.1931.
In: Koebel-tusk Bd. 3, S. 221.
[11] Ebda., S.223. Vgl.
weiterhin S. 225.231.
[12] Vgl. Koebel-tusk [Bd.1],
S. 194-106.
[13] Vgl. Koebel-tusk Bd.3, S.
217.
[15] Vgl. im Detail Fritz
Schmidt: Ein Mann zwischen zwei Welten. Eberhard Koebels politische
Entwicklung, seine ersten Jahre in der Emigration und seine Wirkung auf die illegale d.j.1.11.
Edermünde 1997, bes. S. 14 ff.
[16] Vgl. ebeda., S. 28 f.
[17] Vgl. z.B. teut im
„Sender“ vom 25./26.2.1933: „schlesien habe ich abkommandiert für das lager der
quickborner“. S.u. Heroismus III.
[18] Vgl. Zeitschrift für eine
junge Gesinnung 2,1, Okt.1933, S. 14, erschienen bei Günther Wolff, Plauen.
[19] Vgl. Schmidt, a.a.O.,
Seite 18 f.
[20] Vgl. ebenda. S. 37. Siehe
Heidrun Holzbach-Linsenmaier: „tusk – der Deutsche“.In: www.zeit.de/1997/09/tusk_-_der
Deutsche.
[21] Vgl. Koebel-tusk, Bd.2,
S. 181-187.
[23] Ebda., S. 15.
[24] Ebda., S. 16. Vgl.
ähnlich die „tyrker“ 3-6 vom Mai 1933 in der Zusammenfassung Koebel-tusk, Bd.
1, S. 134 ff.
[25] Vgl. „Die Kiefer“ 5, Juli
1933, S. 4.
[26] Ebda.
[27] Achim Reis: tusk und Japan. Boblingen 1992 zitiert bei Schmidt 1997, S.
26, setzt den Beginn der Beschäftigung mit der japanischen Kultur auf das Jahr
1928 zunächst graphisch. Die inhaltliche Seite ist in ihrer thematischen
Chronologie folgende (Zitiert nach der Faksimile-Ausgabe „Die Kiefer“,
Edermünde 1994, die nicht in allen Teilen übereinstimmt mit dem Nachdruck in
Koebel-tusk Bd.3) : „Hara-Kiri“, in: Das Lagerfeuer 11/Nov. 1931, jetzt in:
Koebel-tusk Bd. 2, S. 87-90.
„Ein Schwert“, in: Der
Eisbrecher 15/Okt. 1933 vgl. Bd. 2, S. 90-91; „Briefe an den Graphiker“ [zu
japanischen Holzschnitten], in: Pläne 1 u. 2, Jan./Febr. 1933, in: Bd. 1, S.
237-239; „Japanische Lyrik“ [zu Werner Helwigs japanischen Nachdichtungen, vgl.
ders. In: Die Kiefer 2/April 1933, S. 1-3], ebda. S. 239 f.; „Zen“, in: Die
Kiefer 1/Aprl 1933, S. 2-3; „“Indem du zerlegst, tötest du das Lebendige
(analysierendes Europa)“, ebda. S. 4-7 sowie „Das nicht diskutierende Land (die
„synthetische“ Weltauffassung Asiens)“, ebda., S. 7-10;
„Bücher“[Japan allg., Kunst
und Zen], ebda., S. 10-11; „yet an –ism“[Zen], in: Die Kiefer 2/April 1933,
S.5-12; „Bushido“, in: Die Kiefer 3/Mai 1933, S. 4-11 und die Fortsetzung zum
ethischen System Bushido 4/Juni 1933, S.1-5; „Die zehn Stadien des geistigen
Kuhhütens“, ebda., S. 6-13; „Die aufgehende Sonne“, in: Die Kiefer 5/Juli 1933,
S. 1-5, darin S. 4-5 die zitierte „Methode des Heroismus“; „Bushido“[3.Teil],
ebda., S.8-10; „Keine Arbeit, kein Essen“ [Zen], ebda., S. 10-12;
„Maz-daz-nan“[körperliche Übungen auf dem Langeoog-Lager, auf dem wie gezeigt
die Haiku-Imitationen entstanden], in: Die Kiefer 6/August 1933, S. 7-8;
[Bericht über ein Treffen mit Kano, dem Begründer der Yu-do Lehre, „einer
weltanschaulichen Erweiterung des Yiu-Yitsu“ bei Erwin Toku Bälz anlässlich des
deutschen Turnfestes] in Stuttgart, ebda., S. 16. [Bälz, der im selben Heft
S.1- 4 einen einleitenden Artikel „Das heilige Erbgut des Ostens“ beisteuerte,
beeinflusste tusks Japan- Verständnis ebenso sehr wie seine spätere Ehefrau
Gabriele] „Bushido“ [4.Teil], ebda., S. 15 f.; Anonym, vermutlich tusk: „Drei
Ermahnungen zenistischer Meister“, in: Die Kiefer 7/Sept. 1933, S. 1-5; „Kampf
um den Körper“[Fechten], ebda., S. 5-7; „Hsin-hsin-ming“, ebda. S. 7-11
übersetzt von Gabriele Koebel; [ebda., S. 113 Nachdruck: J. Nitobe: Bushido,
„Die Frau“; „Neue Kriege“ (kuli) zur militärischen Situation Japans S. 13-15:
zu „soldatische Gesinnung“, „Opferbereitschaft“] „Neue Kriege“ II, ebda., S.
15: „Die Umwelt verschont uns nicht mit dem Vorwurf, Anbeter des Ausländischen
zu sein. Wir lassen uns nicht beirren.“ [Japan mangelt es nicht an
Nationalismus am Beispiel der „menschlichen Torpedos“]; [Anonym, aber wie der
übernächste Artikel wohl doch auch von tusk] : „Zitate über das Wesen der
ostasiatischen Tuschmalerei“, ebda., S. 16. – Ab Oktober 1933 wird „Die Kiefer“
unter dem Namen „Zeitschrift für eine junge Gesinnung“ bei Günther Wolff in
Frakturschrift fortgesetzt. Von E.K. stammt: „Der ‚Pinselhieb’“, ebda., Heft 1,
S. 7; „Die Philosophie des Hsin-hsin-ming“, ebda. S. 8-11 [Erweiterung auf
China und Bezugnahme auf Heraklit, ders. auch in 3/Dez.33 und in „Die
Heldenfibel“]; „Die Zahl Drei“, ebda., S. 12 sowie „Chinesische Moralsprüche“
S. 12; „Oestliche Sterne von Himmel der praktischen Religion“, Ebda., Heft 2,
Nov. 33, S. 22-23 [mit Sprüchen von
Shoseke Kaneko]; „Die Philosophie des Hsin-hsin-ming“ [Teil 3], ebda. S. 23-25
[zur intellektuellen und intuitiven Erkenntnis]; „Ueber das Wesen und den
Ursprung des Menschen“ [Kaneko ff.] ebda., 3/Dez. 1933, S. 34-42; „Die Philosophie
des Hsin-hsin-ming (Schluß), ebda., S. 50-52. [Im letzten Heft Jan. 1934
vollzieht tusk eine thematische Kehrtwende in seinen Betrachtungen „Thor oder
Jesus?“ und „Die vier Armeen“, d.h. die christlichen Hauptströmungen].
[28] Vgl. Die Kiefer 5, Juli
1933, S.4-5.
[29] Vgl. Koebel-tusk Bd. 1, S. 58-95 (Tyrker
10/12, Jan. 1933). Der gespannte Bogen ist Symbol für “Verhaltenheit,
ungestillte Sehnsucht, dauernder Wunsch. Das Holz möchte, solange es ein Bogen
ist, gerade sein und kann nie. Daraus kommt die Kraft, immer wieder Pfeile
absenden zu können.“ (S. 90). Der Kontext ist hier nicht Zen, sondern noch die
Kosakenwelt.
[30] Vgl. ebda., S. 61ff.
ausführlich zur Typologie „Helden der
Wiederholer“ vs. „Helden der Selbsterringenden“. Wenn sich letztere auf „die
Suche nach Formen und Disziplinen, Feiern, Siegen und Verlusten begeben, dann
entsteht zwangsläufig: Autonome Jungenschaft“, frei von jeder Verpflichtung
[..]“. (S. 62 f.) und ohne
weltanschauliche Festlegung wie in einer Staatsjugend (vgl. S. 79).
[31] Vgl. Koebel-tusk Bd. 2,
S. 84 ff. „Scapa Flow“ [von 1929]: „Aber als Scapa Flow bekannt wurde, musste
ichs ja glauben, dass ich nie Mariner werden würde“ (S. 86).
[32] S. 32 „Ich will dir eine
Heldenfibel schreiben“, damit du mutig wirst“.
[33] F. Schmidt 1997, S. 53 f.
weist kritisch (eine „Chimäre“) auf den Absturz Romin Stocks im August 1930 und
die konträren Bewertungen angesichts des Alltags der Verfolgungen hin. Vgl. die
Ablehnung von NS-Seite ebda., S. 55.
[34] Vgl. Koebel Bd. 1, S. 249
ff. In Pläne 1 und 2, Jan./Febr. 1933, Zitat von S. 249. Schon im GW 3/1932, S.
22 ff. hatte er unerkannt unter seinem Pseudonym bertrand de born die „praktische erörterung solcher fragen wie
wehrsport, arbeitsdienst, staatsjugend, grenzlandarbeit“ eingefordert“ (S.25).
Wenn der neue Bund nicht zur Zusammenarbeit mit anderen käme, sei „er für
deutschland nichts wert“ (ebda.).
[35] GW 4, 1933, S. S. 2.
[36] Vgl. Ebda., Bd. 1, S. 247 f. Und zuvor z.B. von 1929 in Koebel-tusk, Bd. 3, S. 333. ff sowie
S. 180 ff. von 1930.
[37] Koebel-tusk, Bd.3, S.
155.
[38] Vgl. z.B. die Leitsätze
der 2. Trucht zum Bad Nauheimer Bündnis Okt. 1956, in GW 1/1957, S: 11 zum
„gemeinsamen Geist“: „[..] Dem die Gemeinschaft der Freunde heilig ist, welche
einander beschenken und von einander Geschenke zu nehmen bereit sind, Der den
Gewinn des Herzens höher wertet als jeden Nutzen aus geschäftlichem
Erwerbstrieb und als jeden niedrigen Genuss, Der allem Schöpferischen
ehrfürchtig gegenüber tritt und jede eitle Anmassung mit Mut zurück weist, Der
aus Bereitschaft zum Leben die Kunst und die unaufdringliche Weisheit der
Älteren achtet und sucht, aber das greisenhafte Geschwätz und die Eiseskälte
enttäuschter oder gescheiterter Älterer flieht, [..]“. Dieser Nomos nahm in den
60ger Jahren die literarische Dimension eines Urgesetzes an, das jede Epoche
neu prägt, aber entdeckt oder durch Musen vermittelt und durch den Dichter
formuliert werden muss. Vgl. dazu die Briefe an Helwig vom 20.6.67; 24.6.68:
7.4.71: 3.6.71; 6.1.72 („Um das Weltbild
nicht aus dem Ich, sondern aus dem gewandelten Weltgrund, dem neuen Weltgesicht
ging es mir eigentlich seit je. Es geht mir um die neue Maske Gottes“) und
24.12.72.
[39] Vgl. einen undatierten
Rundbrief (nach Ostern 33) in Koebel-tusk, Bd. 3, S. 335 ff., Zitat von S.
339.
[41] Vgl. zur Typologie des
völkischen historischen Romans F. Westenfelder: Genese, Problematik und Wirkung
nationalsozialistischer Literatur am Beispiel des historischen Romans zwischen
1890 und 1945. Frankfurt /Main 1987, bes. Kap. III, 4. Wesentlich ist, dass die
Erneuerung aus dem Bauerntum kommt und sich heldenhaft kämpfend durchsetzen
muss. Die Landnahme vollzieht sich Osten in Anknüpfung an die heroischen
Gründer des Reiches wie Siegfried, aber auch an Friedrich den Großen.
[42] Ein Ritus, der in der
Jugendbewegung und besonders im Werk Müllers seinen festen Platz hat, vgl.
noch Ders.: Entflammte Stunde.
Heidenheim 1973. (Sprüche und Lieder zum Feuer, die bis auf die pathetischen
Lieder der Trucht zurück reichen). Vgl. schon Lieder der Trucht, Kap. 2 „Feuer
und Tanz“.
[43] Vgl. S. 2 und 3. Neus
Plastik entstammt dem Maiheft 1934 von „Die Westmark“, S. 471. Das Gedicht
könnte wegen der georgischen Ausdrücke „heilige Fron“ und „Folger“ von Teut
Ansolt sein.
[44] Hier S. 11 aus Stefan
George: Das neue Reich. Ders.: Werke. Ausgabe in zwei Bänden. München 1958, S.
437 f. Es ist Müllers erstes Zitat aus diesem Werk, das in „Die Westmark“
(s.o.) die zentrale Rolle für George und das dritte Reich einnimmt.
[45] Vgl. GW 5, 1934, S. 28
„Dichtung“ – anonym, d.h. vom Herausgeber.
[46] Vgl. ebda., S. 31 zu
Naumann und anderen: „Diese berichtenden Bücher, von Miterlebenden und
Führenden selber geschrieben, Chroniken über eine täterisch-schöpferische Zeit,
sind mehr wert als viele der sogenannten Dichtungen, auch sind sie oft besser
geschrieben. Ihre nüchterner und doch tief durchglühter Opfergeist wird euch im
Kampf gegen die bürgerlichen Sicherungstriebe im Zaum zu halten helfen.“
[47] Vgl. zu „Grenzland“ „Die
Westmark“ 1, Weinmond 1933, S. 27 mit der Phragis: „[..]Dann erst öffne
jubelnd/ein Tor, wenn Er sich naht im Sturm/der Liebe, des eigenen Reiches
Herr!“. – Vgl. ders. in Nr.2, Neblung 1933, S. 65-68.
[48] Ernst Osterkamp: Poesie
der leeren Mitte. Stefan Georges Neues Reich, München 2010, weist in einer auf
die Texte gestützten eindruckvollen Analyse nach, dass dieses Reich „als Reich
des Augenblicks und der Mitte“ (S. 136) ein komplexes ästhetisches ist, sich in
der Kunst und dem Kreis erfüllt, was es allerdings auch missverständlich macht.
Ein George-Schüler wie Müller hätte eigentlich seiner guten Textkenntnis
vertrauen dürfen, um zu anderen Schlüssen zu kommen. Er missbraucht die
poetische Dimension durch Weglassungen und Umwertrungen für seine
weltanschaulichen Banalisierungen.
[49] Vgl. Ders., Die Westmark
5, Hornung 1934, S. 231-240.
[50] Vgl. ders., a.a.O.,
besonders S. 86 ff. zunächst durch den „Stürmer“ im Frühjahr 1934, wo sogar
George selber ebenso wie Maximin für Juden ausgegeben werden. Stauffenberg
schreibt daraufhin einen Protestbrief.
[51] Vgl. „Die Westmark“ 5,
Mai1934, S. 465 f.
[52] Vgl. Brief an Helwig vom
8.1.1955, den er in Wiesbaden gegen Ostern 1935 auf dem Rückweg von einer
persönlichen Nachfrage in Zuge traf.
[53] Ders., „Teut verstorben“,
in: Der Eisbrecher 68, April 1975, S. 266. Bolay war ab 1940
Gaukulturstellenleiter in Magdeburg und hatte teut „mitten im Krieg“ bei
derselben Einheit in Potsdam wieder getroffen. Er ging als Pazifist in den
50ger Jahren nach Skandinavien, wo er sich in Finnland und Schweden einen Namen
als Bibliotheksreformer machte. Teut besuchte ihn dort erstmalig nach seiner
Pensionierung 1964, um die „Sandrose“ zu dichten.
[54] Vgl. ARCHIV Mappen 122 u.
402 sowie 135 und 486 mit den Lothringen-Gedichten.
[55] ARCHIV: Unsortiertes in
großen Kästen. Vgl. Helwig: a.a.O. 1968, S.9.
[56] Vgl. Briefe an Werner
Helwig a.a.O. nach der erwähnten Olka-Affäre 1959 klagt Müller darüber, dass
keine Anthologie ein Gedicht von ihm aufnimmt (24.10.63), dass Bündische durch
Anfeindungen der Lokalpresse verfolgt würden (21.4.66) und , nachdem der
erhoffte saarländische Literaturpreis an Harig ging, „man will mich mundtot
machen“ (20.6.67). Auch in Max Himmelhebers „Scheidewege“ gelingt es ihm ebenso
wenig wie in Jüngers „Antaios“ einen Text unter zu bringen (16.5.72 und 20.7.72).
„keiner will mich in meiner Herzensmitte verstehen“ (17.8.73).
[57] Vgl. Ders.,: Die Blaue
Blume des Wandervogels. Vom Aufstieg, Glanz und Sinn einer Jugendbewegung.
Gütersloh 1960, S. 354-378, darin der erwähnte Rundbrief tusks zum KP-Beitritt,
S. 372-374.
[58] Würzburg 1942, 69 S.
[59] Karl Christian Müller:
„Das Allgemeine und das Insgemeine in der Kunst“. In: Saarländischer Almanach
1972, Saarbrücken , S. 84.